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In sueßer Ruh

In sueßer Ruh

Titel: In sueßer Ruh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. E. Lawrence
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Teil deines Charmes.« Das Wort »Liebling« betonte sie ironisch, wie immer nur halb im Scherz.
    »Du weißt also wirklich, was Steampunk ist?«
    »Klar«, erwiderte sie und biss schlürfend noch ein Stück von der Birne ab. »Ein paar von meinen Kollegen stehen drauf. Ein Bekannter von mir, ein Pathologe, hat einen ganzen Kleiderschrank voll mit viktorianischen Gruftiklamotten.«
    Kathy Azarian war forensische Anthropologin, und obwohl er bisher noch keinen ihrer Kollegen kennengelernt hatte, klang es ganz so, als wären sie ein ziemlich komischer Haufen. Andererseits: Wenn er es recht bedachte, waren seine eigenen das auch.
    Sie wischte den Saft ab, der ihr übers Kinn lief. Das war noch so etwas, das er an ihr nicht verstand: Sie aß ständig und blieb trotzdem irgendwie schlank. Dabei war sie höchstens eins sechzig. Er hatte keine Vorstellung, wo all dieses Essen blieb. Einmal hatte er sich sogar bei der Überlegung ertappt, ob sie vielleicht Bulimie hatte.
    Eine eigensinnige Strähne fiel ihr über die Augen, als sie sich für einen weiteren Bissen vornüberbeugte. Ihr welliges dunkles Haar war lockerer als seine festen schwarzen Locken, aber ansonsten waren sie körperlich absolute Gegensätze. Lee war groß, blass und blauäugig, während Kathys Haut ihrer armenischen Herkunft selbst im Winter einen schimmernden Kupferton verdankte. Und ihre Augen wirkten wie mit Kajal umrandet, auch wenn sie sich überhaupt nicht geschminkt hatte.
    »Na gut«, sagte er und lehnte sich in dem dick gepolsterten roten Sessel zurück. Es war sein Lieblingssessel, der allmählich anfing, ein bisschen schäbig auszusehen, das Leder an den Armlehnen wurde rissig und bleichte aus. »Dann erzähl mir mal was über die Steampunk-Szene.«
    »Ich werde Josh danach fragen und dir dann berichten.«
    »Dein Kollege?«
    »Ja. Er geht in Philadelphia sogar in einen Klub. Und kennt sämtliche Bands, die dort auftreten, alles eben.«
    »Danke.« Ein Anflug von Eifersucht durchfuhr ihn, aber er wandte sich ab und holte tief Luft.
    Kathy war mit der Birne fertig und warf das Kerngehäuse in den Papierkorb neben dem antiken Rollschreibtisch.
    »Wann ist das Konzert heute Abend?«, fragte sie.
    »Um acht.«
    Sie versanken in Schweigen, während sich die Sonne auf ihrer Bahn nach Westen zum Hudson River über die East Seventh Street schlängelte. Bei dem Konzert handelte es sich um eine Aufführung des Brahms-Requiems in der Carnegie Hall. Kathy war früh von der Arbeit aufgebrochen, um den Zug von Philadelphia, wo sie arbeitete, nach New York zu erwischen, damit sie gemeinsam hingehen konnten. Keiner von ihnen wollte diesen Abend allein verbringen, und er war froh, dass sie es zusammen besuchten. Kaum zu glauben, dass ein ganzes Jahr seit 9/11 vergangen war – er fühlte sich innerlich noch immer wie wund und konnte nur vermuten, wie viel schlimmer es für all die Familien und Freunde der Opfer sein musste.
    »Ich glaube, wir gehen lieber los«, sagte sie und brach damit die Stille, die sich wie ein Grabtuch über das Zimmer gelegt hatte.
    »Ja«, erwiderte er, dankbar für den Vorwand, sich zu rühren. Er freute sich nicht gerade auf die Veranstaltung und nahm an, dass er mit dem Wunsch, der Tag möge bald herum sein, nicht allein war.
    Jedermann in New York – selbst diejenigen, die die Türme als architektonischen Schandfleck beklagt hatten – nahm die Anschläge persönlich. Man hatte das Empfinden, dass die Terroristen nicht Amerika angegriffen hatten, sondern New York. Die Verwüstung und ihre Folgen wurden in einer Stadt, die sich nicht mit dem übrigen Amerika identifizierte, stark auf sich selbst bezogen. New York war ein Ort mit eigenen Regeln, eigenem Verhaltenskodex und sogar einer eigenen Art, Kaffee zu bestellen. In vielerlei Hinsicht war New York City dem Rest des Landes so fremd wie Singapur oder Bangkok. Während man sich im restlichen Land überdimensionale US -Flaggen an die Geländewagen hängte, waren die New Yorker wie in einer Art emotionaler Warteschleife nach wie vor wie betäubt.
    »Was ist das bloß mit diesen Jahrestagen?«, sagte Kathy. »Merkwürdig. Ich bin schon den ganzen Tag lang so traurig. Woher kommt dieses Bedürfnis, das wir offensichtlich haben, Dinge in Erinnerung zu behalten, sogar schreckliche?«
    »Ich vermute, es ist Teil des Heilungsprozesses«, erwiderte er und schnappte sich seine Jacke von der viktorianischen Bugholzgarderobe im Flur.
    »Bei der Zeremonie am Ground Zero werden heute Abend die

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