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In Todesangst

Titel: In Todesangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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ähnlich sahen. »Zeigen Sie mir Ihren Ausweis«, verlangte sie. »Und seinen will ich auch sehen.«
    Ich förderte mein Portemonnaie zutage, kramte meinen Führerschein heraus und hielt ihn an die Glasscheibe. Bob tat es mir nach.
    Die Frau überlegte. »Warten Sie«, sagte sie, öffnete eine Zimmertür neben der Rezeption und sagte: »He, wach auf. Hörst du mich? Und zieh dir was an. An der Tür stehen zwei Typen, die wissen wollen, wo Kerry wohnt. Aber allein gehe ich nicht mit denen raus.«
    Kurz darauf kam sie mit einem jungen Mann zurück. Er hatte sich lediglich eine abgetragene Jeans übergezogen und sah aus, als sei er geradewegs einem Werbespot entstiegen -Waschbrettbauch, muskulöse Arme, dunkles Haar. Bob und ich wechselten einen vielsagenden Blick. Ganz klar, der Bursche war ihr Lover. Wenn auch ein Loverboy, der ganz und gar nicht so aussah, als ob mit ihm zu spaßen wäre.
    »Das ist Wyatt«, stellte sie ihn vor. Verlegen blinzelte er uns an. »Er kommt mit.«
    »Gern«, sagte ich.
    »Eine Menge junge Leute arbeiten während der Sommerferien hier«, sagte sie. »Wyatt gehört auch dazu. Unsere Aushilfen wohnen in den Holzhütten hinterm Haus.« Wobei Wyatt es am heutigen Abend anscheinend etwas komfortabler getroffen hatte. »Na ja, und Kerry eben auch.«
    »Wo?«, fragte ich. »Haben die Hütten Nummern? Sagen Sie mir doch einfach, wo …«
    »Eins nach dem anderen«, gab sie zurück. Flankiert von Wyatt, ging sie uns voraus. Wir folgten ihr einen Pfad entlang, der ums Haus herum zu einer Reihe von schwach beleuchteten Holzhütten führte, die am Rand eines Wäldchens lagen.
    »Kerry wohnt da drüben«, sagte sie. »Ich kann nur für Sie hoffen, dass es sich wirklich um einen Notfall handelt. Es wird ihr bestimmt nicht gefallen, mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen zu werden.«
    Ich schwieg, zittrig vor Erleichterung, sie endlich gefunden zu haben.
    Die Frau klopfte sachte an die Tür. »Kerry? Hier ist Madeline. Kerry?«
    Drinnen rührte sich nichts. Ich trat an die Tür und rief: »Sydney! Hier ist Dad! Mach auf! Alles ist okay!«
    Immer noch nichts. »Schließen Sie auf«, sagte ich zu Madeline.
    »Ich muss erst den Schlüssel holen«, sagte sie.
    Bob drängte sie kurzerhand beiseite und trat die Tür ein.
    »He!«, fuhr sie ihn an. »Was fällt Ihnen ein?«
    »Sind Sie nicht ganz dicht, oder was?«, sagte Wyatt. Es waren die ersten Worte, die wir von ihm zu hören bekamen. Er ergriff Bob am Arm, doch Bob schüttelte ihn ab, betrat die Hütte und tastete nach dem Lichtschalter.
    Eine trübe Funzel erleuchtete einen winzigen Raum. Eine Pritsche, zwei Holzstühle, ein schmales Schränkchen, ein uralter Waschtisch. Kein fließend Wasser, kein Bad. Das Zimmer wirkte wie eine Gefängniszelle aus dem 19. Jahrhundert. Auf dem Waschtisch erspähte ich eine Haarbürste, einen Schlüsselbund und eine Sonnenbrille. Das Bett war gemacht; offenbar hatte niemand darin geschlafen.
    »Wo steckt sie?«, sagte Madeline. »Um sechs beginnt der Frühdienst.«
    Ich trat an den Waschtisch und griff nach dem Schlüsselbund. An ihm befanden sich die Schlüssel zu meinem, Susannes und Bobs Haus sowie ein Autoschlüssel mit Honda-Emblem. Meine Finger strichen über die Haarbürste; dann griff ich nach der Sonnenbrille.
    Versace stand in winzigen Lettern auf den Bügeln.
    »Das sind Sydneys Sachen«, sagte ich zu Bob. Meine Stimme bebte.
    Ich ließ den Blick durch die Hütte schweifen, suchte nach irgendwelchen Dingen, die darauf hinweisen mochten, wo Syd war.
    »Wann haben Sie meine Tochter zuletzt gesehen?«, fragte ich Madeline, die nicht von Wyatts Seite wich.
    »Irgendwann gestern am frühen Nachmittag, glaube ich«, sagte sie vage. »Aber ich weiß nicht mehr genau, wann. Normalerweise hat Kerry Frühdienst. Der Rest des Tages steht ihr zur freien Verfügung.«
    »Und? Wie geht es ihr?«
    »Hmm«, sagte Madeline. »Sie ist so ziemlich das unglücklichste Mädchen, das je für mich gearbeitet hat. Immer irgendwie bedrückt, und dazu fürchterlich schreckhaft – wenn man sie unvermutet anspricht, zuckt sie jedes Mal zusammen wie von der Tarantel gestochen. Also, irgendwas stimmt nicht mit der Kleinen, wenn Sie mich fragen.«
    Eine Minute zuvor war ich noch voller Hoffnung gewesen, doch nun ergriff ein Gefühl höchster Beunruhigung Besitz von mir. Wohin war Syd mitten in der Nacht verschwunden?
    Was, wenn sie jemand vor uns gefunden hatte?
    Ich spähte unters Bett, warf einen Blick in den kleinen Schrank.

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