In tödlicher Gefahr
Der Mann, den ich von ganzem Herzen und mit ganzer Seele geliebt habe und von dem ich annahm, dass er mich genauso liebt, konnte meinen Anblick nicht ertragen. Er nannte mich ‚Freak‘. Das sagte er mir zwar nicht ins Gesicht, aber du weißt, wie Jugendliche sind. Meine so genannten Freunde sorgten dafür, dass ich Wort für Wort erfuhr, was er an Hässlichem über mich redete.“
Abbie erinnerte sich an Glen Fallon, der viel Zeit im Haus der McGregors verbracht hatte. Allerdings war ihr neu, dass die zwei sich wegen der Brandnarben getrennt hatten. Wie sollte sie das auch wissen? Sie war damals erst acht gewesen.
„Was du durchgemacht hast, tut mir Leid, Liz. Aber du musst aufhören, meine Mutter dafür verantwortlich zu machen. Sie hatte damit nichts zu tun, und inzwischen kann ich das sogar beweisen. Detective Ryan hat im Stateville Gefängnis mit Earl Kramer gesprochen, und der hat die Lüge gestanden. Ian war mit dieser erfundenen Geschichte über meine Mutter zu ihm gekommen, nicht umgekehrt.“
Zornig schlug Liz mit der Faust auf die Armlehne. „Kapierst du nicht? Es ist egal, wie das Feuer ausgebrochen ist. Deine Mutter ist trotzdem verantwortlich für das, was mir zugestoßen ist. Deine Mutter und du.“
„Ich?“
„Wenn Irene nicht so bemüht gewesen wäre, zuerst dich zu retten …“
„Was hätte sie denn tun sollen?“ begehrte Abbie auf. „Ich war ihre Tochter, und ich habe geschrieen, dass sie kommen und mich holen soll.“
„Sie hätte auch mich herausholen sollen. Mein Zimmer war nur zwei Türen weiter.“
„Mom hat es versucht, aber sie konnte die Tür nicht finden. Der Flur war voller Rauch. Nachdem sie Ian und mich bei den Nachbarn abgegeben hatte, wollte sie wieder hinein und dich holen. Aber inzwischen war die Feuerwehr da, und man hat sie daran gehindert.“
Liz’ Blick war voller Hass. „Deine Mutter hat mich zurückgelassen, damit ich sterbe. Sie hat mich nie gemocht. Denn sie hatte Angst vor mir, weil ich mich angeschlichen und den Schmuck genommen habe, den mein Vater ihr geschenkt hat und der eigentlich mir gehören sollte. Sie sagte meinem Vater, ich sei ungezogen und sogar gefährlich, und schlug vor, ich solle einen Psychiater aufsuchen. Ist das zu glauben?“
„Ich wusste, dass ihr zwei Probleme miteinander hattet, aber …“
„Sie hasste mich abgrundtief. Deshalb hat sie mich zurückgelassen, damit ich verbrenne.“ Liz fiel gegen die Sessellehne und rang nach Luft. „Und dabei hat sie mein Baby umgebracht.“
Fassungslos starrte Abbie sie an. „Dein Baby? Was für ein Baby?“
„Glens Baby. Ich war im dritten Monat schwanger. In der Notaufnahme hatte ich eine Fehlgeburt.“
„Mein Gott.“ Abbie versuchte, sich an die Gespräche im Krankenhaus zu erinnern, als sie Liz mit Irene besucht hatte. Sie konnte sich nicht entsinnen, etwas von einem Baby oder einer Fehlgeburt gehört zu haben. Das hatte Liz also mit den zwei Menschen gemeint, die sie verloren hatte. Glen und das Baby.
„Hat meine Mutter das gewusst?“ fragte Abbie leise.
„Nein.“ Ihre Stimme hatte einen verträumten Klang, der Abbie so unheimlich und verrückt vorkam, dass sie zu frösteln begann. Mit Liz war etwas entschieden nicht in Ordnung. Sie verhielt sich … unnatürlich. Warum war ihr das nicht eher aufgefallen?
„Ich habe dieses Kind so sehr gewollt“, fuhr sie fort. „Es hätte mir geholfen, über Glen hinwegzukommen. Und wer weiß, vielleicht hätte es mir sogar geholfen, Glen zurückzugewinnen.“
„Warum hast du ihm nicht gesagt, dass du sein Baby verloren hast? Wenn er es gewusst hätte, wäre er möglicherweise zu dir zurückgekommen.“
„Ich habe es ihm gesagt, doch es war ihm völlig egal. Er hatte bereits eine andere Freundin.“ Sie drehte die Waffe zu sich und spähte mit einem Auge in den Lauf. „Darum habe ich ihn umgebracht.“
Abbie erstarrte.
Liz nahm die Waffe herunter. „Was schockiert dich so, Abbie? Bist du etwa nicht der Meinung, dass Glen den Tod verdient hatte?“
„Ich glaube dir nicht, dass du ihn umgebracht hast. Du willst mir nur Angst machen.“
„Du solltest Angst haben, Abbie, sehr sogar, denn ich sage die Wahrheit. Ich habe Glen Fallon umgebracht.“
„Wie konntest du das tun? Du hast mir doch gerade gesagt, dass du ihn mehr geliebt hast als alles andere auf der Welt.“
„Ja, bis ich merkte, dass meine Liebe nicht erwidert wurde. Wusstest du, dass er schon mit Joanna zusammen war, ehe ich aus dem Krankenhaus
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