In Vino Veritas
Menü hat Neuzugänge. Bei den
Salaten habe ich im Sinne unseres Grundsatzes – der kulinarischen
Vermählung regionaler und französischer Küche – eine saisonale Variation
kreiert. Jetzt, wo es kälter wird, ist die Zeit für deftigere Genüsse gekommen.
Deshalb«, er deutete auf den entsprechenden Teller, »ein ›Salat vom Kabeljau
mit Puy-Linsen und Speck‹. Kurz zur Information: Linsen, übrigens
Schmetterlingsblütler, sind die am besten verdaulichen Hülsenfrüchte und
Nährstoffbomben. Puy-Linsen kommen aus Frankreich und sind fettärmer als die
hiesigen. Der Speck stammt von besten Eifeler Schweinen und wird nur ganz kurz
angebraten. Probieren!«
In einer Mischung aus Gier und Benimm stürzte sich die
Restaurantbrigade auf den großen Teller. Jeder versuchte, sowohl Salat wie auch
Speck, Kabeljau und Linsen auf die Gabel zu bekommen. Früher einmal hatte
Julius jeden einzeln zum Verkosten vorgebeten, aber auf eine gewisse Art und
Weise ergötzte er sich an dem unwürdigen Schauspiel. Es erfüllte ihn mit Stolz,
denn der Salat schien zu schmecken. Blieb auch nur das kleinste Bisschen beim
Probeessen auf dem Teller, überarbeitete er das Gericht. Doch das passierte so
gut wie nie.
So auch heute. Die »Essenz von Baumpilzen mit gebackener
Gänseleber«, der »Lammrücken mit Artischocken-Gröstl« und vor allem das
»Tannenhonig-Parfait mit marinierten Beeren« fanden reißenden Absatz. Julius
nahm sich seinen Sommelier zur Seite. Der wasserstoffblonde François van de
Merwe stammte aus Südafrika, hatte in seinem bewegten Leben schon als
Edelsmutje auf israelischen Charterjachten und als Garde Manger in australischen
Crosscultural-Küchen gearbeitet – was über die Jahre bedauernswerterweise
zu einer kosmopolitischen Hochnäsigkeit geführt hatte. Julius war immer noch
unklar, wie es diesen Weltreisenden ins pittoreske und beschauliche Ahrtal
verschlagen konnte.
»Dazu fällt dir bestimmt nichts ein!«
Julius liebte es, den aristokratisch wirkenden und ebenso hoch wie
schlank gewachsenen Südafrikaner ein wenig zu foppen.
»Leicht ist es sicherlich nicht.« François nickte anerkennend. »Aber
natürlich ist mir direkt etwas dazu eingefallen.«
»Soso, ist dir das? Du musst dir all der feinen Aromen bewusst sein!
Mit Schnellschüssen ist es da nicht getan!«
Ein leicht beleidigter Blick von François zeigte Julius, dass sein
Pfeil ins Ziel getroffen hatte.
»Zum Salat einen jungen Cabernet Franc von der Loire, zur Essenz
einen – und das wird die Gäste ein wenig fordern – trockenen
Gewürztraminer aus dem Elsass, zum Lammrücken – aber nur, weil du immer
darauf bestehst, heimische Weine zu präsentieren – einen ›Balthasar B.‹
von der Porzermühle und zum Tannenhonig-Parfait eine Weißburgunder
Beerenauslese. Frag mich jetzt bitte nicht nach Winzern und Jahrgängen, dafür
muss ich das Kellerbuch nun doch erst mal anschauen.«
»Dann mach das.«
Julius winkte ihn theatralisch fort. Das begleitende Weinmenü würde
genau die richtige Mischung aus harmonischen und fordernden Kombinationen
bieten. Franz-Xaver, der während des Gesprächs neben Julius gestanden hatte,
legte ihm freundschaftlich eine Hand auf die Schulter.
»Ja, was hat er denn, der Großmeister? Warum hat er des Fischerl so
rasch von der Angel gelassen?«
Julius verzog das Gesicht, als hätte ihn sein Maître d’hôtel an
einen schmerzhaften Bandscheibenvorfall erinnert.
»Ich habe heute keine Nerven für dieses Spielchen. Auch wenn ich
gern wollte …« Er setzte sich an einen der bereits eingedeckten Tische.
»Siggis Tod, net wahr?«, fragte Franz-Xaver, als er sich zu ihm
setzte.
»Ja.«
Einerseits drängte es Julius, mit jemandem darüber zu reden, was
Gisela ihm anvertraut hatte. Aber die Worte wollten ihm einfach nicht über die
Zunge. Franz-Xaver faltete mit großer Geste die Hände.
»Was für eine makabere Todesart! Wer kommt bittschön auf die Idee,
jemanden in einen Bottich zu schmeißen? Warum die Leich net einfach liegen
lassen? Mit dem Mörder kann was net in Ordnung sein, wenn du mich fragst. Ich
mein, mit Mördern ist sowieso was net in Ordnung, aber in diesem Fall …
als wollt er ein Zeichen setzen.«
Die erlösenden Worte hatten sich nun so weit Julius’ Hals
hinaufgearbeitet, dass er sie herauslassen konnte. Auch wenn es schmerzte.
»Es könnte aber auch jemand gewesen sein, der volltrunken war. So
betrunken, dass er sich am nächsten Tag an nichts mehr erinnert. So
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