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In Vino Veritas

In Vino Veritas

Titel: In Vino Veritas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Henn
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Gabe. Er schaffte es, seinen Ehrgeiz so zu verpacken,
dass er charmant wirkte. Sein Rezept war ganz einfach: Er stand zu ihm. Für
Herold war Ehrgeiz reinstes Lebenselixier, und man konnte jeden Moment spüren,
wie er gedanklich an allen möglichen Details feilte, um noch besser zu werden.
    »Jetzt müssen Sie auch bedenken, dass da eine stattliche Anzahl
Flaschen hintersteht! Darauf bin ich schon stolz. Das muss man erst mal
hinbekommen! Viele machen Spitzenweine in homöopathischen Mengen. Das kann
jeder! Die wahre Kunst liegt darin, Qualität und Quantität zu vereinen.«
    Herolds Frau Christine kam hereingestürmt, ein Ahrtaler Urgestein,
deren herzliche, direkte Art Julius jedes Mal erfreute.
    »August, der Zimmermann von der IHK ist am Telefon. Er fragt, wann die sechs Flaschen vom Altenahrer Eck für den
Kammerpreis kommen?«
    »Die hab ich heute Morgen rausgeschickt. Die müssen jeden Tag bei
ihm ankommen. Und wenn sie nächsten Montag nicht da sind, dann schicken wir
eben noch mal sechs!« Für seine Gäste fügte er mit einem nonchalanten Lächeln
hinzu: »Die Deutsche Post hat uns schon einiges verbummelt …«
    Christine fand erst jetzt Zeit, die kleine Runde wahrzunehmen.
»Julius, dich hab ich ja ganz übersehen!«
    Julius stand auf und küsste sie auf die Wangen. »Sieht aus, als
hättet ihr viel Stress zurzeit!«
    »Da sagst du was! – Hast du ein bisschen Zeit mitgebracht?«
    »Für dich immer, weißt du doch.«
    Sie ging in Richtung Büro, ihm bedeutend, dass er ihr folgen solle.
Schließlich führte sie ihn ins Flaschenlager, in dem neue und alte Schätze
gestapelt waren. Christine schien froh über die Gelegenheit, ihrem Frust Luft
machen zu können.
    »Ich weiß bald nicht mehr, wohin mit mir! Erst die schreckliche
Sache mit Siggi, und jetzt ist unser französischer Praktikant spurlos
verschwunden.«
    »Wie verschwunden ?«
    »Ja, weg. Einfach so! Wir wissen nix! Hat uns nichts gesagt, kein
Brief, kein Anruf. Bei seiner Familie in Dijon ist er auch nicht. Wie vom
Erdboden verschluckt. Und das gerade jetzt, wo wir den Keller voll haben!« Sie
griff sich mit beiden Händen in die Haare und schüttelte den Kopf.
    »Seit wann ist er denn weg?«
    »Vorgestern. Am selben Tag, als das mit Siggi passiert ist. Ich kann
es immer noch nicht glauben. Die arme Gisela!« Sie atmete lange durch, bevor
sie fortfuhr. »Morgens war Bernard, Bernard Noblet heißt er, noch da. Er wollte
nach Bonn, und das war’s dann. Kam nicht zurück. Und er war wirklich top! Dem
musstest du nix erklären. – Kannst du mir bitte sagen, wo wir jetzt einen
neuen Praktikanten herkriegen, der wirklich was drauf hat? Ich kann mir doch
keinen zaubern!«
    Julius klopfte Christine besänftigend auf die Schulter. »Ich werd
mich umhören. Aber wenn ihr schon keinen findet …«
    Christine schnippte mit den Fingern. »Weißt du, was ich grad gedacht
hab? Könntest du uns für die schlimmsten Tage nicht deinen Sommelier leihen?
Der hat doch in Südafrika mal länger auf einem Gut gearbeitet?«
    Das war ein weiterer von François’ vielen Jobs gewesen. Julius
bezweifelte jedoch, ob dieser sich mit seiner Scheu vor körperlicher Arbeit
dabei gut angestellt hatte.
    »Fragen kann ich ihn mal.«
    »Das wäre wirklich lieb von dir! Ich weiß sonst nicht mehr, was ich
machen soll … Jetzt hab ich ganz vergessen, dich zu fragen, weshalb du
eigentlich hier bist?«
    »Ich wollte nur noch ein paar Kartons ›Balthasar B.‹ abholen.
Wir möchten den diese Woche als Menüwein anbieten, und der Keller ist bereits
geplündert.«
    »Mach ich dir fertig!«
    Julius verließ das Gut mit den Weinkartons durch das Tor des
Flaschenlagers, welches direkt auf den Parkplatz führte. Von Herold hatte er
sich kurz verabschiedet und seinem Drängen, doch noch etwas zu bleiben,
erfolgreich widerstanden. Der Kofferraum des Audis war nun voll beladen, und
die heimische Küche wartete. Wie auf Bestellung klingelte das Handy, nachdem er
es in die Halterung gesteckt hatte.
    Die panische Stimme am anderen Ende verhieß nichts Gutes. »Er ist
da!« Schweres Atmen. »Ich hab’s gerade erst gesteckt bekommen! Er ist da!«
    In Julius’ Kopf tanzten die Gedanken Tango. Sein Gehirn versuchte,
den Anrufer in das expandierende Kriminaluniversum aus ermordetem Bekannten,
volltrunkener Ehefrau, rotweinverschmiertem Nachthemd, Schmierereien auf einem
Weinfass, schweigsamem Kellermeister und verschollenem Franzosen einzubauen. Es
gelang ihm nicht. Es gab niemanden, dessen

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