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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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eingebuddelt, als das Tideland noch jung war. Damals war sie nichts wert, aber in einem Jahr bestimme ich den Preis.«
    »Was muß ich tun, wenn ich ein Boot mieten möchte?«
    »Also, ich sag's Ihnen ganz ehrlich, ich wüßte nicht, wie Sie's anstellen sollten. Sind nicht mehr viele Boote da, seit man die Anlegestellen abgerissen hat.« Er lächelte den verblüfften Bürokraten säuerlich an. »Waren auch aus Meereseiche. Haben sie vergangenen Monat abgerissen, als die letzte Eisenbahn ging.«
    Der Bürokrat blickte unbehaglich zum Leviathan hinüber, der am Osthimmel allmählich kleiner wurde. Ein Mückenschwarm, entweder Vampirmücken oder Klettfliegen, drohte jeden Moment über sie herzufallen, bis er sich plötzlich entfernte und verschwand. Die Fliegen, das Luftschiff, die Eisenbahn, die Anlegestellen und die Gehsteige, ganz Lightfoot schien sich ihm zu entziehen, als würde es von einer allumfassenden Ebbe erfaßt und mitgerissen. Auf einmal fühlte er sich benommen und spürte den Boden unter den Füßen nicht mehr.
    Jemand brüllte etwas, und das Holz krachte auf die Ladefläche. Die Frau, die die Winde bediente, scherzte mit den Männern im Schlamm. »Wenn ihr sehen könntet, was ich mir gerade vorstelle. Ich hab's direkt vor Augen. Ihr würdet auf der Stelle tot umfallen.«
    »Zeigst du uns ein bißchen von deinen Titten, Bea?« sagte einer der Männer.
    Sie schüttelte spöttisch den Kopf. »Höchstens bis zu den Nippeln. Weiter unten würdest du Dinge sehen, die du dir nicht mal im Traum vorstellen kannst.«
    »Kann ich mir schon denken. Mir war bloß noch nicht danach, deswegen was zu unternehmen.«
    »Warum kommst du morgen abend nicht zum Abschiedsfest in Rosendal, dann kannst du nach Herzenslust zulangen.«
    »He, soll ich wirklich da zulangen?« Er schnitt eine Grimasse, dann tänzelte er zurück, als der Balken ein paar Zentimeter im Geschirr nachgab. »Achte auf die Seite da! Eine so harmlose kleine Bemerkung ist es nicht wert, daß mir die Zehen zerquetscht werden.«
    »Keine Angst. Auf deine Zehen hab ich's nicht abgesehen.«
    »Verzeihen Sie!« rief der Bürokrat zu ihr hoch. »Könnte ich vielleicht den Lastwagen mieten? Gehört der Ihnen?«
    Die rothaarige Frau sah ihn an. »Ja, der gehört mir«, meinte sie. »Aber Sie wollen die Kiste doch wohl nicht mieten. Hören Sie, die Karre läuft mit einer Batterie, die für einen doppelt so großen Wagen ausgelegt ist, deshalb muß ich die Spannung runtersetzen, klar? Aber der Transformator funktioniert nicht mehr. Die Karre läuft vielleicht 'ne halbe Stunde, dann überhitzt sie sich, und die Isolierung fängt an zu schmelzen. Ich muß ihr gut zureden. Anatole hat zwar einen überzähligen Transformator, aber ich glaube, wenn Sie den haben wollen, zahlen Sie sich dusselig. Ich halt lieber noch durch. Wenn's auf die Flut zugeht, wird er nehmen, was er kriegen kann.«
    »Aniobe, ich hab's dir doch schon mal gesagt«, meinte der Krämer. »Ich könnte ihm das Scheißding für den halben Preis dessen abkaufen, was ...«
    Sie ruckte mit dem Kopf. »Ach, sei doch still, Pouffe. Verdirb mir nicht den Spaß!«
    Der Bürokrat räusperte sich. »Ich will nicht weit fahren. Bloß ein Stück am Fluß entlang und wieder zurück.« Eine Klettfliege stach ihn in den Arm, und er zerquetschte sie.
    »Nee, die Radlager fressen sich auch allmählich fest. Die einzige Möglichkeit, heutzutage an Schmiermittel ranzukommen, ist Gireaux, und der ist auf seine alten Tage ein richtiger Schwerenöter geworden. Versucht ständig einen kleinen Kuß zu ergattern oder so. Wenn ich plötzlich eine Tube Schmiermittel von ihm haben wollte, müßte ich wahrscheinlich vor ihm niederknien und mir die Ärmel hochkrempeln!«
    Die Männer grinsten wie läufige Hunde. Pouffe hingegen schüttelte den Kopf und seufzte. »Das wird mir alles fehlen«, meinte er niedergeschlagen. Erst jetzt bemerkte der Bürokrat die gräulich korrodierten Interfacebuchsen an seinen Handgelenken; der alte Mann hatte seinerzeit auf Caliban gedient. Er mußte eine interessante Vorgeschichte haben. »Alle Freunde meinen, sie würden nach dem Umzug zum Piedmont Kontakt halten, aber es passiert einfach nichts. Wollen die mich etwa verscheißern?«
    »Ach, hör doch auf«, spottete Aniobe. »Wer so reich ist wie du, findet überall Freunde. Was für ein Mensch du bist, ist völlig egal.«
    Als der letzte Balken verladen war, schaltete Aniobe den Motor ab und vertäute den Kran. Die Arbeiter warteten auf die

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