Incarceron
einziger Finger zum Hierbleiben zwingt. Nimm das Messer.«
Finn bewegte sich nicht, doch Attia kam seiner Aufforderung nach. Sie kam mit einer kleinen Klinge, die sie immer bei sich trug, und streckte sie Finn entgegen. Dieser nahm sie langsam entgegen. Keiro legte seine Hand auf den Boden und spreizte die Finger. Der metallische Nagel sah genau wie die anderen aus.
»Tu es jetzt«, sagte er.
»Ich kann nicht â¦Â«
»Du kannst. Tu es für mich.«
Ihre Blicke trafen sich. Finn kniete sich neben seinen Eidbruder. Seine Hand zitterte. Mit der Schneide berührte er Keiros Haut.
»Wartet«, rief Attia. Sie hockte sich neben die anderen. »Denkt doch mal nach! Vielleicht reicht das gar nicht. Ihr habt
es doch selber gesagt: Keiner von uns weiÃ, woraus wir in unserem Innern bestehen. Es muss noch einen anderen Weg geben.«
In Keiros blauen Augen lag die blanke Verzweiflung. Er zögerte.
Lange Zeit verharrte er unschlüssig, dann schloss er seine Hand und nickte langsam. Er richtete sich auf, sah hinab auf den Schlüssel und hielt ihn Finn entgegen.
»Diesen Weg werde ich finden. Genieà dein Königreich, Bruder. Herrsche gut! Und pass auf, dass dir niemand in den Rücken fällt.«
Finn war zu erschüttert, um zu antworten. Ein Hämmern in der Ferne lieà sie alle aufblicken.
»Was ist das?«, fragte Claudia.
Jared antwortete rasch. »Es ist hier bei uns. Evian hat einen Anschlag versucht und ist jetzt tot. Die Wachen der Königin sind an der Tür.«
Claudia starrte ihren angeblichen Vater an. Dieser sagte: »Du musst zurückkommen, Claudia. Bring diesen Jungen mit. Ich brauche ihn jetzt.«
»Ist er denn wirklich Giles?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
Das Lächeln des Hüters war unterkühlt. »Jetzt ist er es.«
Kaum waren seine Worte verklungen, wurde der Schirm dunkel. Eine Wellenbewegung lief durch den Korridor; Finn sah sich ängstlich um. Steine fielen von der Decke auf sie herunter.
Als er den Kopf hob, erblickte er das winzige, rote Auge, das sich surrend auf ihn einstellte.
»O ja«, sagte die Stimme sanft, »mich habt ihr alle ganz vergessen. Warum sollte ich wohl eines meiner Kinder gehen lassen?«
34
Als er erwachte, fand er alle um sich herum versammelt: Alte,
Lahme, Kranke und Halbmenschen. Er verbarg sein Gesicht in
seinen Händen und war von Scham und Zorn erfüllt. »Ich habe
versagt«, sagte er. »Ich bin so weit gereist und habe doch versagt.«
»Keineswegs«, antworteten ihm die anderen. »Wir kennen
eine Tür, eine winzige Geheimtür. Keiner von uns wagt, dort
hindurchzukriechen, aus Angst, dass wir sterben könnten.
Wenn du versprichst, zu uns zurückzukommen, dann werden
wir sie dir zeigen.«
Sapphique war schlank und geschmeidig. Er sah die Umstehenden
mit seinen dunklen Augen an. »Bringt mich dorthin«, flüsterte er.
LEGENDEN VON SAPPHIQUE
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W as ist geschehen?«, keuchte Jared.
»Das Gefängnis hat sich eingemischt«, zischte der Hüter. Seine Finger bewegten sich behände über die Kontrollfelder.
»Nun, dann haltet es auf! Befehlt ihm â¦Â«
»Ich kann Incarceron nicht zwingen, mir zu gehorchen.« Der Hüter funkelte Jared an. »Das ist schon seit Jahrhunderten niemandem mehr gelungen. Das Gefängnis herrscht eigenmächtig, Meister. Ich habe keine Macht über Incarceron.« Mit einer Stimme, die so leise war, dass Jared sie kaum noch hören konnte, fügte er hinzu: »Es lacht mich aus.«
Ungläubig und entsetzt starrte Jared auf den schwarzen Bildschirm. DrauÃen hämmerte eine Faust gegen die Bronzetür. Eine Stimme donnerte: »Hüter! Aufmachen! Die Königin verlangt Eure Anwesenheit!«
»Evian hat bei seinem Mordversuch keine glückliche Figur abgegeben«, sagte der Hüter. Dann hob er den Blick. »Keine Sorge, die Wachen werden die Tür nicht aufbekommen. Auch nicht mit ihren Ãxten.«
»Die Königin glaubt also, Ihr wärt am Mordversuch beteiligt gewesen.«
»Das kann sein. Auf jeden Fall ist das ein guter Vorwand für sie, mich loszuwerden. Jetzt wird es keine Hochzeit geben.«
Jared schüttelte den Kopf. »Dann sind wir alle erledigt.«
»In diesem Fall, Meister, könnte ich Eure Hilfe gebrauchen.« Seine grauen Augen fixierten ihn. »Um Claudias willen müssen wir zusammenarbeiten.«
Jared nickte
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