Incognita
dass echte Abenteuer mit Menschen aus Fleisch und Blut nicht mehr zeitgemäß waren.
Er ließ sich von Gordon durch die unterirdischen Gänge zum Aufzug führen. Gordon begleitete ihn auch noch ein Stockwerk höher in die Tiefgarage. Dort wartete bereits Dwight, der Fahrer, der ihn hierhergebracht hatte. Er saß hinter dem Steuer und blätterte in einer Zeitung. Als er die Neuankömmlinge sah, faltete er die Zeitung zusammen, stieg aus und öffnete John eine der Hintertüren.
»Diesmal muss ich also nicht in den Kofferraum?«, fragte John.
Gordon schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Als ich dich herbringen ließ, wollte ich es nur ein bisschen spannender machen. Ich wollte dir doch weismachen, dass wir hier an einem streng geheimen Zeitreise-Projekt arbeiten.«
Was ihm tatsächlich gelungen war, musste John zugeben. Er reichte Gordon zum Abschied die Hand und stieg in den Wagen. Ein seltsames Gefühl innerer Leere stellte sich bei ihm ein. Das Abenteuer war nun endgültig vorbei. Er war darüber froh und enttäuscht zugleich.
Dwight ließ den Motor an, legte den Gang ein und fuhr los. Obwohl er ein langsames Tempo anschlug, quietschten die Reifen auf dem glatten Bodenbelag der Tiefgarage. Während sie sich der Ausfahrt-Rampe näherten, fiel John ein kleiner, weißer Gegenstand in der Ritze zwischen dem Sitzpolster und der Rückenlehne auf. Er griff danach. Es war ein Rubinohrring – von exakt derselben Art, wie Laura sie besaß.
Plötzlich fühlte er sich unwohl. Dumpf erinnerte er sich an jenen Abend, als er mit Laura die Eröffnung der Amazonas-Ausstellung im naturhistorischen Museum besucht hatte. In seiner Erinnerung war das zwar schon Monate her, aber damals – da war er sich plötzlich ziemlich sicher – hatte sie einen der beiden Ohrringe vermisst und sich schließlich für den Perlenschmuck entschieden. Jetzt wusste John, wo der fehlende Rubin-Ohrring steckte – auf dem Rücksitz von Gordons BMW.
Er versuchte, seine aufkommende Eifersucht zu unterdrücken. Was hatte der Ohrring schon zu bedeuten? Gordon hatte selbst gesagt, dass er Laura zu sich ins Labor eingeladen hatte, um ihr die Simulation vorzuführen. Vermutlich war sie mit diesem Wagen abgeholt worden, und durch irgendeinen dummen Zufall hatte sie eben den Ohrring verloren.
Er wollte den Gedanken schon wieder fallen lassen, als es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel: Nicht der Ohrring bewies, dass Laura und Gordon ein Verhältnis hatten, sondern die Computersimulation! Durch den Anspruch, seine Traumwelt so realistisch wie möglich zu gestalten, hatte Gordon sich verraten.
»Fahren Sie zurück, Dwight!«, sagte John.
»Wie bitte, Sir?«
»Sie sollen zurückfahren – sofort! Ich muss noch etwas mit Mister Cox besprechen. Etwas Wichtiges!«
Dwight zuckte gleichgültig mit den Schultern, drehte das Lenkrad bis zum Anschlag und fuhr in einer engen Kurve zwischen den Trägersäulen der Tiefgarage zurück. Gordon stand noch immer am Aufzug.
John sprang aus dem Wagen. Wie ein angeschossener Büffel stürzte er auf Gordon zu, packte ihn am Hemdkragen und drückte ihn grob gegen die Betonwand. »Du verdammter Mistkerl!«, zischte er. »Hast dich wohl unbedingt an Laura heranmachen müssen!«
»An Laura?« Gordon keuchte, leistete aber kaum Widerstand.
»Stell dich nicht blöder, als du bist. In deiner Simulation hatte Laura ihr Muttermal genau an der richtigen Stelle. Und als ich mit ihr schlief, flüsterte sie mir all die Dinge ins Ohr, die sie sonst auch sagt. Woher zum Teufel weißt du davon?«
Gordons Keuchen ging schlagartig über in Gelächter, was John nur noch mehr provozierte. Er packte Gordon härter an. »Keine Ahnung, was daran so komisch ist«, presste er hervor. »Ich hätte große Lust, dir sämtliche Knochen zu brechen!« Er warf einen raschen Blick über die Schulter und sah, dass Dwight aus dem Wagen stieg. »Halten Sie sich da raus!«, rief John ihm zu. »Das geht nur ihn und mich etwas an! Privatangelegenheit.«
Offenbar gelangte Dwight zu dem Schluss, dass es nicht ratsam war, sich in den Streit zweier liebestoller Streithähne einzumischen. Er blieb auf Abstand.
Gordon lachte unterdessen ungeniert weiter, obwohl er kaum noch Luft bekam. »Ich habe mich schon gefragt, wann dir das auffällt«, keuchte er.
»Herzlichen Dank! Dann wolltest du mich also absichtlich demütigen.«
»Demütigen nicht. Eher ärgern. Dir einen Dämpfer verpassen. Aber es ist nicht so, wie du denkst.« Sein Kopf war
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