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Incognita

Incognita

Titel: Incognita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris von Smercek
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boomender Wirtschaft können wir einen Tagessatz von 200 Pfund pro Person verlangen. Die Insel wird Platz für etwa 1.000 Gäste bieten. Bei einem Auslastungsgrad von durchschnittlich 70 Prozent ergibt sich daraus ein Jahresumsatz von rund 50 Millionen Pfund. Wenn wir die laufenden Kosten – Personal- und Instandhaltungskosten, Kosten für den Pendelverkehr zwischen dem Festland und der Insel, Abgaben an Reiseunternehmen, Werbung, Marketing und so weiter – berücksichtigen, verbleibt ein voraussichtlicher Jahresgewinn von 4 Millionen Pfund. Bei 20 Millionen Pfund Einsatz amortisiert sich die Investition also nach rund 5 Jahren.«
    »Wie lange dauert es beim pessimistischen Szenario?«, fragte Anatoli Ljuganow.
    »Etwa doppelt solange. Aber danach werden die Renditen phantastisch sein.« Wieder versuchte John vergeblich, aus den Gesichtern der Russen schlau zu werden. Falls er überhaupt etwas darin erkennen konnte, dann allenfalls Skepsis. Er seufzte innerlich auf, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen. Er fand einfach keinen Draht zu den beiden Russen.
    Noch über eine Stunde lang ging John mit ihnen die Präsentationsunterlagen durch, Seite für Seite, Zahl für Zahl. Doch je mehr sie ins Detail gingen, desto zurückhaltender schienen die Ljuganows zu werden. Immer wieder tauschten sie sich in ihrer Heimatsprache aus, sodass John sie nicht verstehen konnte. Er hatte kein gutes Gefühl dabei. Seine innere Stimme sagte ihm, dass er bereits verloren hatte – was ihn allerdings nur noch mehr anspornte, um seine Chance zu kämpfen.
    Am Horizont versank die Sonne bereits im Meer, als die Ljuganows Caldwell Castle verließen. John begleitete sie zum Fuß des Burghügels, wo noch immer der Hubschrauber stand, ein stählernes Monster neben einer Handvoll mittelalterlicher Bauernkaten.
    Die Ljuganows stiegen ins Cockpit. Während der Pilot die Instrumente checkte, wagte John einen letzten Vorstoß. »Der Fairness halber möchte ich Ihnen noch sagen, dass ich mit einer Reihe weiterer Investoren im Gespräch bin.« Es war eine glatte Lüge, um künstlichen Zeitdruck zu erzeugen. »Bis wann kann ich mit Ihrer Entscheidung rechnen, meine Herren?«
    »Caldwell Island ist ein sehr interessantes Projekt«, antwortete Anatoli Ljuganow. »Aber zwanzig Millionen Pfund sind eine Menge Geld. Bevor wir eine Entscheidung treffen, werden wir Ihre Unterlagen von unseren Finanzexperten prüfen lassen. Dafür haben Sie gewiss Verständnis. Abgesehen davon stehen auch wir mit anderen potenziellen Geschäftspartnern in Kontakt. Wenn wir alle Angebote gegeneinander abgewogen haben, melden wir uns wieder bei Ihnen.« Er schenkte John das glatte Lächeln eines Geschäftsmannes, der es gewohnt war, sich sämtliche Optionen bis zum Schluss offenzuhalten.
    John zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln. »Ich bin sicher, Sie werden die richtige Entscheidung treffen«, sagte er betont zuversichtlich. Er wollte noch einmal die Einzigartigkeit seines Projekts hervorheben – ein Vorteil, den Caldwell Island gegenüber anderen Freizeitparks hatte –, doch in diesem Moment startete der Pilot den Motor. Das Röhren der anlaufenden Maschine wurde schlagartig so laut, dass John hätte schreien müssen. Er zog den Kopf ein, verabschiedete sich mit einem Handzeichen von seinen Gästen und entfernte sich geduckt vom Hubschrauber.
    Neben einer klapprigen Scheune blieb er stehen. Orkanartige Luftwirbel zerrten an seinem Haar und an seiner Kutte, als der Pilot die Turbinen vollends hochfuhr, und die Kufen der Stahllibelle sich unter ohrenbetäubendem Lärm vom Boden lösten. Hinter John erzitterte die Scheune wie von einem Erdbeben erfasst. Einen Moment lang fürchtete John, sie könnte zusammenklappen oder gar weggeblasen werden. Doch dann neigte der Hubschrauber seine Nase nach vorn und brauste mit brüllendem Motor davon, über die Senke hinweg in Richtung Steilküste, dorthin, woher er gekommen war.
    »Du siehst nicht besonders zuversichtlich aus«, sagte eine Stimme.
    John blickte über die Schulter. Hinter ihm stand Brian Guiltmore, noch immer im Kostüm eines mittelalterlichen Edelmanns. John hatte ihn wegen des Motorenlärms gar nicht kommen gehört.
    »Wollen die beiden ihr Geld nicht bei uns investieren?«, fragte Guiltmore.
    John zuckte mit den Schultern. »Sieht nicht so aus.« Er wusste, dass er nicht mehr dazu sagen musste. Guiltmore war sein Vertrauter, seine rechte Hand. Er kannte Johns Situation ganz genau, wusste, dass es weder

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