Incognita
Banken noch andere Investoren gab, die zum momentanen Zeitpunkt bereit waren, Geld für den Ausbau von Caldwell Island zur Verfügung zu stellen. Alle, mit denen John in den letzten Monaten verhandelt hatte, hatten abgesagt. Nicht einmal Joint-Venture-Kapital hatte er für sein Projekt auftreiben können. Wenn die Ljuganows absprangen, musste John seine Vision vorläufig auf Eis legen. Allein der Gedanke ließ ihn die Fäuste ballen.
Er spürte, wie sein Kampfgeist sich regte, und mit ihm kehrte der Optimismus zurück. Noch ist nicht alles verloren, dachte er. Während der Hubschrauber immer kleiner wurde und das Knattern des Motors sich allmählich in der sanften Meeresbrise verlor, die allabendlich über die Insel strich, kam John eine Idee. Wenn er irgendwie in Erfahrung bringen konnte, wer mit ihm um das Geld der Ljuganow-Brüder konkurrierte, hatte er einen Ansatzpunkt. Dann konnte er die Schwächen der anderen herausfinden und die Stärken von Caldwell Island noch deutlicher herausstellen. So lange die Russen sich noch nicht endgültig entschieden hatten, bestand Hoffnung.
»Hast du noch dein Handy bei dir?«, fragte er, ohne den Blick vom Hubschrauber abzuwenden, der inzwischen den offenen Ozean erreicht hatte.
»Ich dachte, Telefonieren ist auf Caldwell Island verboten!«
»Ich wusste, dass du das sagen würdest. Und jetzt gib her!«
Er nahm das Gerät und tippte eine Nummer ein.
»Wen rufst du an?«, wollte Guiltmore wissen.
»Unsere gute Seele im Büro. Stacy.«
»Und was willst du von ihr?«
John grinste. »Eine Verbindung zu Floyd Decker. Wenn uns irgendjemand helfen kann, dann er.«
Kapitel 3
Einen Tag später
Die geräumige Luxuslimousine – eine nagelneue dunkelblaue S-Klasse – rollte bei strömendem Regen durch die nächtlichen Straßen Londons. Dicke, schwarze Wolken ballten sich über den Dächern der Stadt, und in kurzer Abfolge zuckten die bizarrsten Blitzformationen zur Erde nieder. Donnerschläge, laut wie Bombendetonationen, ließen ganz London erzittern.
Das Unwetter tobte nun schon seit Stunden, das schlimmste der letzten zehn Jahre. John musste zugeben, dass er jetzt nicht mit den Urlaubern auf Caldwell Island tauschen mochte, die in ihren windigen Burgzimmern, ihren kargen Hütten oder gar unter freiem Himmel schlafen mussten. In Situationen wie dieser konnte Caldwell Island einem durchaus seine Grenzen aufzeigen.
Er hielt an einer Ampel und zupfte an seiner schwarzen Seidenfliege. Sie beengte ihn, ebenso wie der Smoking, den er trug. Nach seinem Aufenthalt auf Caldwell Island kam ihm seine teure Abendgarderobe steif und unbequem vor. Aber als Erbe des McNeill-Konzerns gehörte es zu seinen Pflichten, an bestimmten Empfängen teilzunehmen und die dazugehörenden gesellschaftlichen Zwänge zu akzeptieren.
Andererseits musste er zugeben, dass er sich – abgesehen von dem Gefühl, durch seine Fliege erdrosselt zu werden – auf den heutigen Abend freute. Die Einweihung der Sonderausstellung im National Historical Museum versprach überaus interessant zu werden.
Ein gewaltiger Donnerschlag riss ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn zusammenzucken. John bemerkte, dass Laura, seine Frau, auf dem Beifahrersitz ebenfalls erschrak. Er warf ihr einen Seitenblick zu, aber sie nahm keine Notiz davon.
In ihrem eleganten bordeauxroten Kleid sah sie umwerfend aus, es betonte ihre hochgewachsene Gestalt. In den letzten Jahren hatte sie ein wenig zugelegt, aber, wie John fand, genau an den richtigen Stellen. Sie war noch immer schlank, nur hier und da ein wenig üppiger geworden. Das lange, kastanienbraune Haar hatte sie heute aufgesteckt – die perfekte Frisur, um die Perlenkette von Gucci und die dazu passenden Ohrringe gebührend zur Geltung zu bringen. Laura sah aus wie ein Model – heute allerdings wie ein ziemlich unnahbares, denn sie trug ihr Kinn hoch erhoben, wie immer, wenn sie beleidigt war und John das auch spüren lassen wollte.
Sein Blick fiel aufs Armaturenbrett – 19:25 Uhr. Nicht mal halb acht, und es war finster wie in der Hölle. Noch dazu dieser sintflutartige Regen, der den gesamten Verkehr zum Erliegen gebracht hatte. Er spürte, wie er sich zu ärgern begann, obwohl er wusste, dass es keinen Sinn hatte. Sein Ärger würde das Wetter nicht besser machen. Dennoch hätte er am liebsten laut geflucht. Er unterließ es nur, um Laura nicht noch mehr zu provozieren.
Seit seiner Rückkehr von Caldwell Island am gestrigen Abend war Laura nicht gut auf ihn zu
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