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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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es einem das Trommelfell.
    Robert entschied sich, seinen Blick auf den Techniker zu richten und ihn einfach anzustarren. Die Zeit dafür war gekommen.
    Aber der Techniker hatte seine Stirn auf die Lehne des Stuhls gestützt, auf dem er verkehrt herum saß.
    Sofort legte sich das Gefühl der Bedrohung. Robert malte einen Strich auf die Leinwand.
    – Festumzüge, murmelte der Techniker in die Lehne des Bürostuhls. Weiß keiner, wofür die gut sein sollen. Und die Gesichter dieser Leute …
    Er schüttelte den Kopf und schlug, obwohl die Wespentaille der Stuhllehne dazwischen war, die Beine übereinander. Robert fand es immer unerträglich, wenn er die Schuhsohlen eines Menschen präsentiert bekam. Meist geschah es genau auf diese Weise: Jemand baute aus dem oberen Bein eine Art Dach, ein Schienbeinpult. Dann hätte er denjenigen am liebsten erschlagen. Ein Glück, dass es in erster Linie Männer waren, die so saßen, aber der Teufel wollte es, dass er hie und da auch die Schuhsohlen einer Frau zu sehen bekam. Was für ein ekelhafter Anblick, das straßenbelagsgraue Profil und die festklebenden Stücke fremden Lebens, diese entsetzliche Dokumentation, wo überall man schon gewesen ist. Unerträglich, diese Leute. Wirklich feinfühlige Menschen hatten so etwas wie Schuhsohlen überhaupt nicht, sie zeigten sie genauso wenig freiwillig her, wie Männer die klebrige Unterseite ihres Penis herzeigen würden.
    Er wischte einen kleinen Fehler aus dem Augenwinkel des skizzenhaft blassen Affengesichts vor ihm auf der Leinwand. We don’t make mistakes, we have happy accidents.
    – Kennen Sie Bob Ross?, fragte er den Techniker.
    – Äh, den Maler?
    – Ja.
    – Ja, sagte der Techniker, das finde ich total beruhigend, diese Sendung. Ich hab einige Folgen im iSocket.
    – Mich macht sie immer aggressiv, sagte Robert. Aber auf eine gute Weise.
    – Und haben Sie auch Kunstgeschichte studiert?, fragte der Techniker.
    Das auch störte Robert. Ja, er hatte es probiert. Zwei Semester. Und es hatte ihm nicht gefallen, okay? Was ging das diesen dahergelaufenen Idioten an? Er musste den Pinsel absetzen und sich eine Weile auf den Affen konzentrieren. Sein Herzschlag verlangsamte sich. A thin paint will stick to a thick paint, Robin.
    – Wir haben ziemlich oft Zeichenklassen hier, sagte der Techniker. Die sind dann meist im Konferenzzimmer, so im Sitzkreis, drum herum … Aber die fragen eher selten nach Affen. Mehr nach den Mäusen.
    – Mit dem Ohr auf dem Rücken?
    – Was?
    – Ach, ich hab nur, sagte Robert. Da war mal so ein Bericht in einer Zeitschrift, die mir mein Biologielehrer damals gegeben hat, über eine nackte Labormaus mit einem menschlichen Ohr auf dem Rücken.
    – Ach so, sagte der Techniker. Die Maus von Vacanti. Das war kein menschliches Ohr, das ist ein Missverständnis. Das waren nur Knorpel, die sie da wachsen gelassen haben, und die haben sie einfach in diese spezielle Form gebracht, damit …
    – Kunst, sagte Robert.
    – Ja. Gewissermaßen.
    – Wo ist die Maus wohl jetzt?, fragte Robert.
    Und er spürte einen kleinen Stich in seiner Brust. So früh.
    – Die leben ja nicht lang, sagte der Techniker.
    – Was glauben Sie, wo die Maus begraben ist?
    Wieder ein kleiner Stich, diesmal höher, knapp unterm Adamsapfel. Eine Pause entstand. Der Techniker trommelte ein paar Mal mit den Fingern auf seine Knie.
    – Und Sie machen eine ganze Serie davon?, fragte er.
    – Ja.
    Malgeräusche, Pinsel auf Leinwand. Das sanfteste Schaben der Welt. Wie das Scharren krallenloser Pfoten an einer geschlossenen Tür.
    – Hm, machte der Techniker. Ist es okay, wenn ich …
    Robert schaute kurz auf, um zu sehen, worum es ging. Der Techniker hielt eine Zigarette hoch. Robert nickte. Erleichterte Feuerzeuggeräusche, Lungenzug, Stille. Warum ist der Geruch einer frisch angezündeten Zigarette so gut? Ganz anders bei Zigarren. Direktor Rudolph. Als würde man einen Fabrikkamin im Mund mit sich herumtragen.
    – Ich hab nichts dagegen, sagte Robert.
    – Danke.
    Stille. Der Affe war eingeschlafen.
    – Und Sie machen da wirklich eine ganz Serie davon, hm?
    – Ja, sagte Robert.
    – Wie wird die aussehen?
    – Wie bitte?
    – Ah, ich will Sie nicht stören. Aber ich frag mich nur, werden das alles Tiere sein?
    – Hauptsächlich, ja.
    – Krass.
    – Finden Sie?
    – Ach so, Entschuldigung, das hat jetzt schlimmer geklungen, als ich’s gemeint hab. Ehrlich. Sorry.
    Robert mochte es, wenn Menschen

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