Indigosommer
wollte? Vielleicht. Doch was auch immer es war: Das merkwürdige Gefühl ließ sich nicht abschütteln.
Später kam Janice zu mir ins Zimmer und sie freute sich wirklich, dass ich mitkommen würde. »Meine Eltern haben mit deinen telefoniert und sie haben nichts dagegen.«
»Ehrlich?«, fragte ich.
»Ja. Alec musste versprechen, gut auf dich aufzupassen.«
Ich verdrehte die Augen. »Jetzt hasst er mich bestimmt.«
»Hey«, Janice lachte, »das ist sein Problem. Ich freue mich jedenfalls, dass du mitkommst. Wir werden dir gleich morgen einen Surfanzug kaufen. Und ein Brett haben wir auch für dich. Zwar nur ein altes Boogieboard, aber für den Anfang reicht das.«
Für den Anfang, dachte ich und machte nun doch Luftsprünge. Innerlich jedenfalls.
2. Kapitel
D en Rest von Alecs Surferclique lernte ich erst am Abreisetag kennen. Es war der Montag nach dem 4. Juli, den die Turners mit einem Picknick hatten feiern wollen, das allerdings am Ende ins Wasser gefallen war. Auch heute war der Himmel bedeckt und es sah nach Regen aus. Das typische Wetter für Seattle und langsam begann ich, mich daran zu gewöhnen.
Alec, Janice und ich hatten am Tag zuvor unsere Sachen gepackt. Wir wollten mit zwei Autos nach La Push fahren, mit Joshs altem VW-Bus und Alecs Ford-Kombi, den er von seinen Eltern zum 19. Geburtstag bekommen hatte. Zu meinem Gepäck gehörten ein nagelneuer schwarzer Neoprenanzug, Gummischuhe und ein etwa ein Meter langes Surfbrett – falls ich doch Lust bekommen sollte, wellenreiten zu lernen.
Das Brett war beige, ziemlich zerschrammt und zweimal mit Duck Tape, einem grauen Gewebeklebeband, geflickt. Beides, Brett und Surfanzug, kamen mir vor wie Fremdkörper in meinem Gepäck. Keine Ahnung, ob ich die Sachen tatsächlich benutzen würde, aber allein die Tatsache, dass ich sie dabeihatte, setzte mich jetzt schon unter Druck.
Am Morgen hatte ich ein letztes Mal mit meinen Eltern telefoniert. Zu Hause in Deutschland war es neun Stunden später als hier an der Westküste. Sie waren gerade von der Arbeit gekommen.
»Sei vorsichtig«, sagte meine Mutter. »Steig nur auf so ein Brett, wenn du dir das wirklich zutraust.«
»Keine Angst, Ma, du kennst mich doch.«
Meine Mutter war Dänin, sie war auf den Färöer Inseln aufgewachsen und konnte nachfühlen, wie sehr ich das Meer liebte. Beinahe jeden Sommer hatte ich bei meinem Großvater Tormar in Hvalba, einem kleinen Ort an der Ostküste von Färö, verbracht. Vermutlich hatte ich meiner Ma zu verdanken, dass ich diese Reise mitmachen durfte.
Von meinem Vater bekam ich noch ein paar gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg. »Mach nicht alles mit, Smilla. Du weißt schon.«
Natürlich wusste ich. Keinen Alkohol, keine Drogen und Vorsicht bei den Jungs. »Alles klar, Pa, du kennst mich doch. Ich hab euch auch lieb.« Und glücklicherweise liegt in den nächsten Monaten der große Ozean zwischen uns.
Wir waren noch nicht fertig mit dem Frühstück, als es vor dem Haus hupte. Alec und Janice liefen hinaus und ich trottete hinterher. Ein himmelblauer, mit springenden Delfinen bemalter VW-Bus stand vor der Tür, auf dem Dach vier festgeschnallte Surfbretter. Josh stieg aus dem Bus und begrüßte mich mit einer herzlichen Umarmung. Er hatte den Rest der Truppe bereits zu Hause abgeholt. Einer nach dem anderen sprangen sie aus dem Bus, und als Alec mich ihnen vorstellte, wurde mir langsam klar, warum er Bedenken gehabt hatte, mich mitzunehmen.
Zunächst war da Laura. Sie trug halblange Kakis und ein buntes Kapuzenshirt, hatte rote Korkenzieherlöckchen, rostbraune Sommersprossen und freundliche graue Augen. Ihr glucksendes, kullerndes Lachen war ansteckend, aber ihre selbstbewusste, lässige Art machte mir sofort klar, dass sie von einem ganz anderen Kaliber war als die Mädchen, die ich sonst so kannte. Brandee, das zweite Mädchen, war fast so groß wie Alec. Sie taxierte mich eingehend mit ihren eishellen, schwarz umrandeten Augen. Ihr Haar war glatt schwarz und lang, mit Ponyfran
sen bis auf die langen Wimpern. Sie hatte eine klasse Figur – viel Busen, aber nicht zu viel, flacher Bauch und lange Beine – und sie trug die angesagtesten Klamotten: enge Hüftjeans, Chuck Taylor All Star Sneakers, eine mit Nieten besetzte taillierte Lederjacke und darunter ein bauchfreies hellblaues Top. In ihrem linken Nasenflügel blitzte ein winziger blauer Glitzerstein.
Ich hatte mich nie als Mauerblümchen gesehen, doch neben solchen Mädels wurde ich schlichtweg
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