INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
böser Scherz sein. Vor ein paar Minuten war sie noch glücklich darüber gewesen, diesen Job zu haben und vor allem mit Denise zusammen zu sein, und nun befand sie sich einer womöglich lebensbedrohlichen Lage. Es ertönte ein Poltern aus der Küche. Sarah wollte Denise zurufen und sie fragen, ob sie die Teelichter fand, entschied sich aber dagegen. Bloß nicht noch unnötige Aufmerksamkeit erregen. Wie viel Zeit war seit dem Anruf bei der Polizei wohl vergangen? Hilfe war unterwegs, sie mussten nur noch ein bisschen die Stellung halten. Auf einmal erstarrte Sarah.
Das schrille, weinerliche Geschrei eines Kleinkinds durchbrach die Stille.
Oh Gott. War dieser irre Typ bei dem Kind? Oder war der kleine Sid einfach so aufgewacht? Dann würde das Gekreische die Gestalt jetzt sicher anlocken.
„Warte hier“, rief Denise, die das Weinen auch mitgekriegt haben musste, aus der Küche. Dann hörte Sarah, wie eine Tür geöffnet wurde. Sie wollte Denise aufhalten, aber die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Denise konnte doch jetzt nicht alleine da raus gehen. Das Gekreische des Kindes ebbte kurz ab, nur um danach noch lauter und schriller erneut zu ertönen. Plötzlich mischte sich ein kurzer, panikartiger Aufschrei von Denise in diese Kakophonie des Schreckens. Sarah blieb beinahe das Herz vor Angst stehen. Schritte im Flur. Sie hielt die Luft an und wagte nicht mehr zu atmen.
Denise! Was war ihr zugestoßen? Das Geschrei von Sid flaute zu einem leisen Wimmern ab, ansonsten herrschte jetzt Stille. Was sollte Sarah nur tun? Ohne noch länger darüber nachzudenken, erhob sie sich von der Couch. Das Küchenmesser umklammerte sie inzwischen so fest, dass es weh tat. Sie musste nach Denise schauen - und nach dem Kind -, auch wenn sie sich selbst damit in Gefahr brachte. Aber zum Nachschauen brauchte sie erst einmal Licht. Andererseits, wenn sie nichts sehen konnte, traf das dann ja wohl auch für ihren Widersacher zu. Sie schritt, die Hand mit dem Messer vor sich ausgestreckt, auf die Tür zum Flur zu und tastete nach der Klinke. Langsam zog sie die Tür auf und trat über die Schwelle. In diesem Moment flackerte die Lampe im Wohnzimmer auf und begann wieder zu brennen. Sarahs Blick fiel zu Boden und sie gab einen erstickten Schrei von sich.
Oh nein, bitte nicht.
Sarah stiegen Tränen in die Augen und sie unterdrückte ein Wimmern.
11
Sarah stand inmitten einer Pfütze aus Blut, die sich in Rinnsalen über die weißen Fliesen ausbreitete. Das Geländer und die untersten Treppenstufen waren ebenfalls blutbespritzt. Die Spur des Unheils zog sich weiter den düsteren Flur entlang und endete in der Dunkelheit. Sarah verharrte völlig bewegungslos dort wo sie stand und kämpfte gegen das reine Entsetzen an, das von ihr Besitz zu ergreifen drohte.
Der Mann mit der Kampfschwein-Maske hat Denise wahrscheinlich die Kehle durchgeschnitten und sie dann in die Dunkelheit des Hauses geschleift.
Die Tränen liefen Sarah über das Gesicht und tropften zu Boden, wo sie sich mit dem Blut vermischten.
Aber vielleicht hat er sie nur verwundet und sie lebt noch. Ich muss sie finden, bevor es zu spät ist. Sarah hob den Kopf und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Sie hatte begonnen zu zittern und Angst, Panik und die Vorstellung, dass Denise tot war, drohten sie zu überwältigen. Am liebsten wäre sie auf den Boden gesunken und hätte sich die Hände vor das Gesicht gehalten, um nichts zu sehen oder zu hören. Das war einfach alles zu viel für sie, sie wollte und konnte nicht begreifen, was hier heute passiert war. Reiß dich zusammen, ermahnte sie eine innere Stimme. Sarah atmete tief ein und aus. Sie drehte sich langsam nach links und dann nach rechts, in der Hoffnung einen Lichtschalter für den Flur zu finden, der sich mit jedem Meter mehr in der Dunkelheit verlor. Sie fand keinen. Sarah lauschte, hörte aber nicht das geringste Geräusch. Auch der Kleine war inzwischen wieder still. Fieberhaft ging Sarah ihre Optionen im Kopf durch. Vielleicht sollte sie das Kind herunter holen, sich ins Auto setzen und in sicherem Abstand zum Haus auf das Eintreffen der Polizei warten. Das wäre wahrscheinlich die vernünftigste Vorgehensweise. Falls Denise noch lebte, würden die Beamten sie schon finden. Andererseits brauchte sie dann vermutlich schnelle Hilfe. Sie war verwundet und möglicherweise hing ihr Leben von jeder Sekunde ab. Sarah brach ihre Überlegungen ab und ging entschlossen in die Küche. Sie riss
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