Infantizid
Hubaczek stellte das Aufnahmegerät an und begann.
Frage: »Nennen Sie Ihren Namen, Ihr Geburtsdatum und Ihren Wohnort.«
Antwort: »Mein Name ist Peter Arndt, geboren am 1. August 1960 in Berlin. Zurzeit ohne festen Wohnsitz. Ich halte mich seit Langem im Ausland auf.«
Frage: »Schildern Sie die näheren Umstände Ihres Anstellungsverhältnisses bei der Firma Omicron AG.«
Antwort: »Im Jahr 1999 wurde ich während einer Fernfahrt nach Madrid auf einer Autobahnraststätte von meinem ehemaligen Gruppenführer aus unserer gemeinsamen Militärzeit, Obermaat Schitko, angesprochen. Er bot mir eine lukrative Arbeit in seinem Unternehmen an. Nach einem zweiten Treffen sagte ich zu. Ich kündigte und begann meine neue Arbeit. Zu Beginn kam ich in die Filiale nach Berlin, etwas später in die Hauptzentrale nach Erfurt.«
Frage: »Um was für eine Arbeit handelte es sich und wie hoch war Ihr Einkommen?«
Antwort: »Schitko sagte mir, dass die Omicron AG Informationen aller Art verkaufe. Dazu würden zuverlässige Leute gesucht. Es sei seine Aufgabe, diese zu finden. Die Informationsbeschaffung betraf im Prinzip die ganze Bandbreite des gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Lebens. Wer eine Frage hatte, bekam eine Antwort und musste dafür zahlen. Ganz einfach. In der Berliner Filiale durchlief ich alle Abteilungen, um mir einen Ãberblick zu verschaffen. Nach einiger Zeit musste ich nach Erfurt und wurde in eine besondere Abteilung versetzt. Ab dem Zeitpunkt verdiente ich ungefähr 3.000 Euro netto monatlich.«
Frage: »Was für eine besondere Abteilung?«
Antwort: »Die Besonderheit begann schon mit meinem neuen Ausweis. Damit war ich berechtigt, den gesperrten Bereich der Firma zu betreten. AuÃerdem hieà ich jetzt André Bode. Den Grund dafür erläuterte mir der Chef der Firma, Siegfried Walbe, indem er mir den Plan âºInfantizidâ¹ vorstellte. Meine Identität wurde vollständig gelöscht. Man sagte mir, ich sei bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Diese besondere Abteilung hatte drei Gruppen: die Ermittlungs- und die Ãberwachungsgruppe sowie die Cleaner. Die Ermittlungsgruppe hatte die Aufgabe, geeignete Leute aufzuspüren, die mit ziemlicher Sicherheit von âºInfantizidâ¹ zu überzeugen waren. Sie konzentrierte sich vorrangig auf die Stellvertreter der Chefs von Behörden, Firmen, Parteien, Vereinen und so weiter. Von besonderem Interesse waren Menschen, die aus irgendwelchen Gründen geschasst worden waren. Personen, die zwar fachlich kompetent waren, aber meist wegen privater Probleme oder Schwächen aufs Abstellgleis gestellt worden waren. Alkoholiker, Schwule, Spieler, Fremdgeher, Diebe, die Listen waren lang. Wir nutzten ihre Verbitterung oder Verärgerung natürlich aus. Sie werden es nicht glauben, aber in 98 Prozent aller Fälle hatten wir die Leute auf unserer Seite. Es war unfassbar.«
Frage: »Wie konnten Sie sicher sein, dass niemand etwas verraten würde? Und was war mit den restlichen zwei Prozent?«
Antwort: »Warum sollten sie etwas verraten? Sie waren doch alle scharf auf diese Posten. Was hatten sie zu verlieren? Gar nichts, im Gegenteil. Bei den Leuten, mit denen ich sprach, hatte ich den Eindruck, sie konnten es gar nicht erwarten, sich für die Schmach und Ungerechtigkeit, die ihnen ihrer Meinung nach widerfahren war, zu rächen. Natürlich wurden sie auf die Folgen eines möglichen Verrats hingewiesen. Wenn die Omicron AG zu der Einschätzung kam, dass Einzelne, also die restlichen zwei Prozent, schon zu viel wussten und dennoch nicht bereit waren mitzumachen, kam die Ãberwachungsgruppe zum Einsatz. Sie suchten so lange, bis sie etwas fanden, um die Leute zu erpressen. Das half. Meistens jedenfalls.«
Frage: »Und wenn nicht?«
Antwort: »Dann wurden die Cleaner geschickt. Es waren wohl insgesamt vier Leute in dieser Gruppe. Ãber die wusste niemand etwas. Das war natürlich geheim â eine höhere Sicherheitsstufe gab es nach dieser nicht. Meine Aufgabe bestand darin, geeignete Leute für âºInfantizidâ¹ zu suchen. Diese gab ich dann weiter. Ich selbst habe mich nur im ersten Stadium der Rekrutierung mit ihnen unterhalten.«
Frage: »Wissen Sie, wer und wie viele Personen durch die Cleaner getötet wurden?«
Antwort: »Nein. Ich war nur für den Erstkontakt verantwortlich.
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