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Infantizid

Titel: Infantizid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Grit; Hoffman Bode-Hoffmann
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verschwand. Während des Winterlagers war neben der Skiausbildung das Eistauchen besonders ›beliebt‹. Es fanden sich immer irgendwo ein zugefrorener See oder eine Talsperre. Die Tauchpaare durften das kühlende Nass erst verlassen, wenn die Aufgabe erfüllt war.
    Besonders heikel war die Ausbildung in fließenden Gewässern. Die Sicht unter Wasser betrug gleich null. Es war nur möglich, einen Fluss unter Wasser einigermaßen gerade zu überqueren, wenn man sich längs gegen die Strömung stellte und darauf achtete, dass man immer von vorn angeströmt wurde, damit man zumindest eine Richtungsangabe hatte. Und dann hieß es, die Hände in den Untergrund zu stecken und zu strampeln, was das Zeug hielt, denn die Strömungsgeschwindigkeiten der großen Flüsse waren sehr hoch. Am gegenüberliegenden Ufer musste man dann im abgesteckten Bereich ankommen, sonst war die Aufgabe nicht erfüllt. Danach kam die größte Tortur. Die gesamte Gruppe musste zwei Tage lang ein sperriges, glitschiges und schweres Schlauchboot mit sich schleppen. Egal, wo es hinging, das Boot war dabei. Bei Flussüberquerungen suchten sich die Ausbilder natürlich immer die steilsten Abhänge auf der gegenüberliegenden Seite aus, was zur Folge hatte, dass man zwei Meter abrutschte, nachdem man mühselig einen geschafft hatte. Wenn nur einer aus der Gruppe nicht genau das tat, was die anderen machten, war das Unternehmen zum Scheitern verurteilt. Sie nannten das ›aus einem Haufen Kacke eine Einheit formen‹.
    Bei einem solchen Trainingslager nahe der Elbe lernten Matti Klatt und die anderen, wie man etwas zu essen organisierte beziehungsweise wie man in den Breiten Mitteleuropas beim Einsatz ohne Einkaufsmöglichkeit überlebte. Die Natur bot reichlich, und wenn nicht, musste man eben einen Bauernhof aufsuchen. Auf Dauer schmeckten die Würmer, Käfer, Krebse, Fische, Blätter und gekochte Rinde jedoch niemandem mehr. Man hatte mal wieder Heißhunger auf ein Huhn und dieser Wunsch war noch bescheiden. Obendrein musste jemand gefunden werden, der es beschaffte.
    Die Wahl fiel auf Matti Klatt. Also zog er im Dunkel der Nacht seinen Taucheranzug an, nahm sein Kreislauftauchgerät und stieg in die Elbe. Dummerweise lag der nächste Bauernhof auf der anderen Seite des Flusses. Jentzsch sicherte ihn mit einer Leine. Klatt kam am anderen Ufer an, legte seine Ausrüstung ab und schlich sich auf das Gehöft. Er kroch an den Hühnerstall heran und ergriff zwei weiße Hennen. Mit einem kurzen Dreh am Hals beendete er ihr Leben. Noch nicht einmal der Wachhund bekam etwas davon mit. Die Menschen waren arglos und dachten nicht an mögliche Einbrüche und somit hielt man es mit der Ausbildung der Hunde nicht so streng. Es waren eher Hofhunde, die nur zur Abschreckung dienen sollten. Wenn man sich einigermaßen mit Tieren auskannte, und das lernten die Fallschirmjäger auch, hatte man es in einem solchen Fall nicht unbedingt schwer, den Magen nach langer Zeit mit etwas Vernünftigem zu füllen. Wieder unversehrt am Ufer angekommen, legte Klatt seine Ausrüstung an und verschwand in den Fluten so lautlos, wie er gekommen war. Matti Klatt hatte an diesem Abend dennoch eine überlebenswichtige Regel außer Acht gelassen, nämlich niemals zu tauchen, wenn man erkältet war. Durch die verstopften Nasennebenhöhlen war es unmöglich, den notwendigen Druckausgleich zu erreichen. Je tiefer man tauchte, umso größer wurde der Druck von außen auf die Trommelfelle. Presste man von innen dagegen, passten sich die Trommelfelle an. Beim Auftauchen geschah das in der Regel automatisch, nur umgekehrt. In der Regel! Wenn man nicht erkältet war! Matti Klatt konnte aufgrund eines Schnupfens keinen Druckausgleich vollziehen, ihm platzte ein Trommelfell. Im Mittelohr saß das Gleichgewichtsorgan, das dem Gehirn mitteilte, wo oben und unten war. Wenn durch ein geplatztes Trommelfell Wasser eintrat, konnte dieses Organ seine Funktion nicht mehr erfüllen. Das passierte Matti Klatt, er wusste nicht mehr, wo er war. Er verlor den Halt auf dem Grund der Elbe und trieb ab. Für Jentzsch war es allein unmöglich, einen Mann mit Ausrüstung und zwei Hühnern gegen die starke Strömung an Land zu ziehen. Zu allem Überfluss biss Matti Klatt nicht stark genug auf das Mundstück seines Tauchgerätes, sodass Wasser eindrang und er einen

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