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Infektiöse Visionen (German Edition)

Infektiöse Visionen (German Edition)

Titel: Infektiöse Visionen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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loslassen. Denn es hatte irgendwie mit diesem Loch zu tun.
    „ Sebastian, kann ich dich mal sprechen?“
    Unwillig drehte ich mich zur Tür. Meine Mutter hatte sich bereits halb herein gedrückt. Ich hatte sie nicht mal anklopfen hören.
    „ Was denn?“
    „ Lernst du Mathe?“
    „ Siehst du doch.“
    „ Das ist gut.“
    „ Wieso betonst du das so?“
    Noch immer stand sie halb in der Tür und tat ganz harmlos.
    „ Ach, nur so.“
    „ Was?“
    „ Ich hab da zufällig deinen Lehrer getroffen.“
    „ Wen, Eselsohr?“
    „ Dr. Ferner.“
    „ Zufällig!“
    „ Na ja. Er sagt, wenn du Mathe verhaust, dann...“
    „ Dann müssen du und dein Mann es noch ein Jahr zusammen aushalten. Miteinander und mit mir in diesem Haus.“
    Sie machte ein Gesicht als hätte ich ihr intimstes Geheimnis erraten, und das freute mich.
    „ Dein Vater und ich, wir zwei, also wir drei...“
    Sie biss sich auf die Lippen, und es grauste mich davor, dass sie gleich losheulen würde. Und trotzdem reizte es mich, ihr weitere Nadelstiche zu versetzen.
    „ Keine Angst“, kam ich dem zu erwartenden Gestotter zuvor, „ich habe nicht die Absicht, die Prüfung zu verhauen. Ich will auch hier weg, und zwar schnellstens.“
    Als sie das hörte, schien sie plötzlich gar nicht mehr betroffen und den Tränen nahe. Sie schlüpfte durch die Tür, schloss sie von innen, kam zu meinem Schreibtisch herüber und schaute mich so beflissen und vertraulich an als sei ich ihre Tratschfreundin.
    „ Du hast ja recht.“
    „ Ich hab recht? Ist ja ganz was Neues.“
    „ Insofern, dass es nicht so weitergeht. Aber so oder so... Also, nicht dass ich daran zweifeln würde, dass du...“
    „ Schon klar.“
    „ Ich will nur, dass du weißt, dass dich niemand unter Druck setzt.“
    „ Damit lasse ich mich auch nicht unter Druck setzen. Aber trotzdem würde ich jetzt gerne weiter lernen.“
    Ich klappte demonstrativ das Buch auf und fuhr mit dem Zeigefinger an einer Zahlenkolonne entlang. Sie aber blieb stehen und schaute mir ins Gesicht, was ich nicht ausstehen konnte.
    „ Was ist denn noch?“
    „ Ach nichts. Ich weiß nur nicht, ob... Aber jetzt, wo es raus ist... Eigentlich wollten wir, also er dir das ja keinesfalls vor dem Abi sagen, eben damit du völlig unbelastet... Aber ich finde, du hast ein Recht... Und bevor wieder irgendwas hinter deinem Rücken geschieht, was ja in zwei Wochen sowieso nicht mehr möglich wäre...“
    „ Wenn du das mit der Bundeswehr meinst, das kann er sich abschminken. Ein zweites Mal würden die das sowieso nicht mitmachen.“
    Ich wurde jetzt richtig wütend. Diese Bundeswehr-Geschichte hatte ich bis vor einer Sekunde vergessen gehabt, wohl eher verdrängt, obwohl ich seitdem mit meinem Erzeuger kein Wort mehr geredet hatte.
    Es war etwa ein Jahr zuvor gewesen, da hatte ich im Briefkasten einen Einberufungsbefehl gefunden. Natürlich glaubte ich zuerst an einen Irrtum, man war ja bis zum Abitur vom Wehrdienst befreit, aber ich rief vorsichtshalber im Kreiswehrersatzamt an, um die Sache richtig zu stellen. Dort erklärte man mir indes, der Einberufungsbefehl sei gültig, und im Falle weiterer Fragen habe ich mich an meinen Erziehungsbevollmächtigten zu wenden.
    An den wandte ich mich dann natürlich auch gleich, kaum war er seinem großkotzigen schwarzen Bulldozer-Geländewagen entstiegen. Diesen Moment in der Garage werde ich nie vergessen, er markiert auch aus heutiger Sicht noch das Ende von Kindheit und Jugend für mich, sofern man diese Zeit als Phase der Geborgenheit und des Vertrauens definiert.
    „ Ich weiß“, sagte meine Mutter und tat schuldbewusst, obwohl sie in dieser Sache gar nichts dafür konnte. Nur für das, wie sie darauf reagiert hatte...
    „ Was auch immer er diesmal abziehen will, er kann es vergessen.“
    „ Er wird nichts abziehen. Es läuft alles fair und ehrlich, das haben wir schon geregelt.“
    Ich stutzte.
    „ Wie... fair und ehrlich?“
    Sie zuckte mit den Schultern und tat so, als müsse sie sich überwinden, aber ich sah ihr an, dass sie froh war, mit dem herauszurücken, was sie mir nun unterbreiten würde.
    „ Da du es nun sowieso schon weißt...“
    „ Was weißt?“
    „ Oder erraten hast.“
    „ Wovon redest du eigentlich?“
    „ Na, dass wir uns trennen wollen.“
    Sie setzte sich auf mein Bett, was wohl bedeuten sollte, dass ihre Eheprobleme nun wichtiger waren als mein Mathe-Abi.
    „ Basti, Du sagst ja gar nichts.“
    Die Verniedlichung Basti hatte ich schon als Kind

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