Inferno - Höllensturz
immerhin, das klang viel versprechend. Die Machtzirkel der Mephistopolis wollten Walter, und das konnte er schlecht einfach so abtun, denn er hatte sein Leben weitestgehend damit zugebracht, von niemandem gewollt zu werden. Große Versprechungen waren gemacht worden, von künftiger königlicher Macht. Die letzte überlebende Transkriptorin hatte ebenfalls so etwas angedeutet: Dass Walter in der Hölle zu wahrer Größe aufsteigen und die Frau zurückgewinnen würde, die er liebte.
Also träumte er weiter.
Er schüttelte die Gedanken ab und ging weiter, bis er an eine weitere rauchende Straßenkreuzung kam. Ein Imp mit einer Yankees-Kappe raste in einem Dampfauto durch den tief hängenden Nebel an ihm vorbei. Über seinem Kopf kreiste träge ein Greif, warf ihm einen prüfenden Blick zu und verschwand. Aus fernen, erleuchteten Fenstern hörte er Gelächter, Stöhnen und Schreie.
Das nächste Straßenschild erregte seine Aufmerksamkeit: GREIFENFUTTERALLEE. Irgendwie kam ihm der Name bekannt vor. Dann fiel es ihm wieder ein. Der Traum. Aber es war doch nur ein Traum gewesen, oder? Und er erinnerte sich auch wieder an die hübsche Frau in den heißen Klamotten, die von den Golems enthauptet worden war: Sie hatte sich Namenlos genannt. Ich war eine Hexe des Daktylusrangs am Hofe König Mursils des Ersten , hatte sie ihm erzählt, was auch immer das bedeuten mochte. Und noch etwas fiel ihm wieder ein. Im Traum hatten die Golems ihren Kopf in eine Mülltonne geworfen.
Direkt vor ihm stand eine Mülltonne.
Ich will doch mal hoffen, dass da kein abgetrennter Kopf drin liegt , dachte Walter und sah hinein.
In der Mülltonne lag ein abgetrennter Kopf.
»Hallo, Walter«, grüßte ihn der Kopf, der schräg auf dem Abfall lag. Ein fleischfarbener Käfer kroch über das Gesicht, woraufhin die Frau angewidert die Nase rümpfte, um ihn abzuschütteln.
»Namenlos«, flüsterte Walter.
Genau in diesem Augenblick kam ihm ein Gedanke. Namenlos war im Prinzip das einzige Mädchen, das jemals nett zu ihm gewesen war. Ist ja großartig , sinnierte er zynisch. Ein Mädchen ohne Körper.
Er hob sie an ihrem schimmernden, pechschwarzen Haar hoch.
»Du hast dir ja ganz schön Zeit gelassen.«
»Aber Sie waren doch nur ein Traum …«
»Du bist ein Sohn des Äthers, Walter. In deinen Träumen kannst du deinen physischen Körper verlassen und hierher kommen, oder auch überall sonst in den Niederen Ebenen umherstreifen.«
»Was genau sind die Niederen Ebenen?«
»Wir haben jetzt keine Zeit, uns darüber zu unterhalten. Lass uns hier abhauen, bevor die nächste Mantertruppe hier auftaucht. Und hör endlich auf, mich zu siezen.«
Völlig aus dem Konzept gebracht machte Walter sich mit Namenlos auf den Weg; er trug sie an den Haaren. »Ich finde es … verstörend, einen abgetrennten Kopf mit mir herumzutragen. Besonders einen … sprechenden abgetrennten Kopf.«
»Mach dir keine Gedanken, Walter. Du bist in der Hölle. Hier sprechen Köpfe. Aber du musst auch stark sein, wir haben eine Menge zu erledigen.«
»Wie zum Beispiel?«
»Das … wird sich noch zeigen.«
Walter hätte sich eine etwas konkretere Antwort gewünscht. »Ich weiß schon, dass Luzifer mich haben will. Werden Sie – Verzeihung – wirst du mir zeigen, wie ich ihn finden kann?«
»Nein, meine Aufgabe ist es, dich auf Dinge aufmerksam zu machen; sicherzustellen, dass du siehst, was du sehen sollst. Es geht um den freien Willen, Walter, und es ist sehr wichtig, dass du das verstehst. Du vergisst immer, was es mit meinem Fluch genau auf sich hat – meiner ewigen Verdammnis. Ich kenne die Zukunft, aber es ist mir nicht möglich, sie jemandem zu enthüllen.«
Das machte Walter nervös. Frauen machten ihn ohnehin immer nervös. »Aber was du gerade gesagt hast – deine Aufgabe : Das klingt für mich, als wärest du aus einem bestimmten Grund hier. Und dieser Grund hat irgendwie mit mir zu tun.«
»Korrekt«, entgegnete der hübsche, abgetrennte Kopf. »Ich habe auf dich gewartet. Ich wurde extra hierher geschickt, um dir deine Möglichkeiten vor Augen zu führen.«
»Super. Hat Gott dich geschickt?«
»Nein.«
»Wer dann?«
Der Kopf seufzte. »Mittelsleute, die antithetische Absichten verfolgen.«
»Ach so, die«, bemühte Walter sich um einen Hauch von Sarkasmus.
»Es tut mir an der Kopfhaut weh, wenn du mich an den Haaren ziehst. Könntest du mich bitte unter dem Arm tragen?«
Walter klemmte sich den Kopf gehorsam unter den Arm. Er fühlte sich der
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