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Inferno - Höllensturz

Inferno - Höllensturz

Titel: Inferno - Höllensturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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wir denn hier besuchen?«
    »Deine.«
    Diese Antwort traf Cassie wie ein Hammerschlag. Sie und Lissa hatten nie ein sehr inniges Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt; sie hatte sich vor langer Zeit wegen eines anderen Mannes von ihrem Vater scheiden lassen. Ich bin also eine große Persönlichkeit? , dachte sie erstaunt. Es schien schwer vorstellbar. Doch etwas anderes schoss ihr gleichzeitig durch den Kopf. Wenn meine Mutter hier ist, dann muss sie gestorben und in die Hölle gekommen sein. »Wie ist sie gestorben?« Ihre Flipflops knallten auf den rauen Steinboden.
    »Wenn ich das richtig verstanden habe, hat der Typ, für den sie deinen Vater verlassen hat, sie mit noch einem weiteren Kerl erwischt. Also hat er erst sie und dann den anderen Kerl erschossen. Am Schluss hat er sich selbst eine Kugel durch den Kopf gejagt. Man darf nicht alles so tragisch nehmen, Cassie, nur weil man blutsverwandt ist. Wenn man mal ehrlich ist, dann sind die meisten Leute in der Welt der Lebenden nicht gerade toll. Sie sind selbstsüchtig und unehrlich. Deine Mutter war nur eine Goldgräberin. Sie hat bekommen, was sie verdient hat.«
    Cassie konnte das nicht so ganz nachvollziehen. Über ihren Köpfen an dem dicken Ast eines knorrigen schwarzen Baumes hing eine weitere Frau mit einer Schlinge um den Hals. Sie trat mit den nackten Beinen in die Luft, die Hände umklammerten das Seil um ihren Hals. In alle Ewigkeit , erkannte Cassie. Sie wird hier in alle Ewigkeit so hängen. Hatte diese Frau bekommen, was sie »verdient« hatte? Was konnte sie getan haben, um so etwas zu verdienen? Was konnte irgendjemand tun, um so etwas zu verdienen?
    Da traf sie etwas an der Brust, und sie schrie beinahe laut auf. Leicht erhöht auf einem Felsvorsprung stand ein Tier in der Größe eines Nashorns, mit mehreren Augen und einem riesigen, herunterbaumelnden Bauch, so groß wie ein kleiner Sportwagen. Im Bauch des Wesens schien etwas Lebendiges zu zappeln, Cassie vermutete, dass sich tatsächlich mehrere Menschen darin befanden. Aus dem sabbernden, mit gewaltigen Zähnen bewehrten Maul hing der Torso einer Frau, deren Beine bis zur Hüfte bereits heruntergeschluckt waren, doch die Arme, der Kopf und die Brust waren noch sichtbar. Ihr von Geifer beschmierter Kopf hing nach unten, als sie vorübergingen; sie sah Cassie direkt in die Augen und sagte: »Ich hoffe, du bereust deine Sünden …«
    Dann nagte das Wesen weiter auf der Frau herum, und ihre Schreie dröhnten in Salven durch die Höhle.
    »Du kannst ihr nicht helfen, das ist nicht erlaubt«, meinte Angelese und zog sie weiter.
    »Wie kann Gott zulassen, dass Menschen so etwas zustößt?«
    »Das tut er nicht. Die Menschen selbst lassen es zu. Und vergiss nicht, was sie gesagt hat.«
    Ich hoffe, du bereust deine Sünden , rief sich Cassie ins Gedächtnis. Diese Höhle machte sie ganz schwindelig, und sie rechnete damit, noch viel Schlimmeres zu sehen. Offenbar gingen sie dahin, wo die ganz besondere Behandlung durchgeführt wurde, wie Angelese erklärt hatte.
    Einige Frauen standen bis zur Taille in kleinen mit glühender Lava gefüllten Becken; sie hatten sich schon so an den endlosen Schmerz gewöhnt, dass sie sich nicht einmal mehr die Mühe machten, zu schreien. Andere waren nackt an die Felswände geschnallt, wo Greife und Geier mit ihren Schnäbeln an ihnen herumpickten.
    Angelese rieb immer noch an dem kleinen Stein herum, offenbar verärgert.
    »Ist das noch ein Tarnstein?«
    »Das ist ein Nephrilin. In einfachen Worten erklärt, ist das ein Stein, der magisch mit einer Tinktur aus der Seele deiner Mutter kodiert wurde. Eine Art Peilantenne. Er sollte uns zu ihr führen.«
    »Das hat er gerade«, floss eine sanfte Stimme aus der Dunkelheit.
    Der Klang der Stimme war wie ein Schock. Cassie hatte sie so lange nicht gehört, und doch erkannte sie sie sofort. Angelese nahm eine der Fackeln aus einem Wandhalter und leuchtete damit um sich. Das Pech knisterte und warf bizarre Schattenformen auf Angeleses Gesicht.
    Ein Kopf sah sie beide an, und zuerst dachte Cassie, er sei abgetrennt. Doch dann konnte sie erkennen, dass der Körper ihrer Mutter bis zum Hals zwischen zwei glatten Felsen eingequetscht war, jeder davon so groß und breit wie ein riesiger Kühlschrank.
    »Hallo Cassie«, grüßte sie das lächelnde Gesicht zwischen den Felsen. Kurzes, blondes Haar mit modischen grauen Strähnen, perlweiße Zähne, helle aquamarinblaue Augen. Sie war immer noch hübsch, selbst hier.
    »Dein Vater ist

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