Inferno - Höllensturz
konnte Walter sich nicht darauf konzentrieren. Statt dem Randalierer zuzusehen, betrachtete er den Toten auf der Bahre.
Der stützte sich jetzt auf einer Hand auf. Mit der anderen zog er seinen eigenen Hinterkopf an den Haaren nach oben und richtete sein gebrochenes Genick. Ein paar Wirbel knirschten. Der Tote hielt seinen Kopf so, dass er Walter genau ins Gesicht sehen konnte.
Walters Blase entleerte sich.
»Sartre hatte Unrecht«, sagte der Tote. »Die Hölle sind nicht die anderen.«
»Hä?«, brachte Walter hervor.
Der Tote fuhr fort: »Jeder weiß mehr über uns als wir selbst.«
Walters Kinnlade fiel herunter. » Wie bitte ?«
Weiter: »Die Hölle ist ein Ort, eine Stadt. Eine große Stadt.«
Walter wirbelte herum und schrie den Sanitätern zu: »Entschuldigung! Der Kerl hier ist gar nicht tot!« Doch nach einem kurzen Moment hielt er verblüfft inne und blinzelte. Als er die Worte gebrüllt hatte, war überhaupt kein Laut aus seinem Mund gedrungen.
»Wir sehen uns bald dort«, fuhr der tote Mann fort. Jetzt grinste er irre und hielt seinen Hals gerade.
»Sehen uns … wo?«, stammelte Walter.
»In der Stadt.«
Walter hielt den Blick zitternd zu Boden gerichtet.
»Dein Schicksal wartet auf dich«, flüsterte der Mann, doch seine Stimme klang jetzt wie Schmirgelpapier.
»Was?«
»Nimm dein Schicksal an.«
Dann verdrehten sich die Augen des Mannes wieder und er sank zurück auf die Bahre. Walter ließ das Klemmbrett fallen und rannte weg.
Er würde sich erst morgen erschießen.
KAPITEL VIER
I
Die Halman-Landkartenbibliothek
Laurel, Maryland
Penelopes Orgasmus fiel genau mit dem Umschalten ihrer Wächterkontrolluhr zusammen – Schlag Mitternacht. Einen Moment lang fühlte es sich an, als bebe das gesamte Gebäude, doch sie wusste, es war nur sie selbst. Einmal mehr hatte sie all ihren Begierden freien Lauf gelassen. Gary verausgabte sich immer ziemlich schnell – innerhalb von ein, zwei Minuten -, was an sich höllisch ärgerlich wäre; doch er versäumte nie, den Akt pflichtbewusst mechanisch zu vollenden. Sprich: mit gewissen Gerätschaften, auch »Hilfsmittel zur Ehehygiene« genannt. Penelope war dabei egal, dass sie nicht verheiratet waren, und, mal ganz ehrlich, es war ihr auch lieber so. So kam man wenigstens gleich zur Sache. Gary hatte ein beachtliches Arsenal an solch batteriebetriebenen Spielzeugen. Heute Nacht lag Penelope mit weit gespreizten Beinen rücklings auf dem Schreibtisch des Wachpersonals – mit nichts am Leib als einem Paar blauer Strümpfe – und Gary zog langsam eines seiner Spielzeuge heraus, einen zwanzig Zentimeter langen Vibrator aus neonorangefarbenem Gummi mit Noppen, den Penelope liebevoll »Mr Bumpy« nannte. Sie keuchte noch einmal abschließend lustvoll, als das Gerät aus ihrem pochenden Unterleib gezogen wurde.
»So«, sagte Gary. »Das sollte dich mal ein bisschen abkühlen.« Er zerrte seine Levi’s hoch, schlurfte mit nacktem Oberkörper zur Kaffeemaschine und sah sich um.
Du lieber Gott , dachte Penelope. Ich bin gerade gekommen wie ein Güterzug. In diesem Augenblick fühlte sie sich, als wäre sie gerade von einem solchen überfahren worden. Als sie vom Schreibtisch aufstehen wollte, hielt sie mitten in der Bewegung inne, noch zu erschöpft von der explosionsartigen Entladung ihrer Ekstase.
Gary wohnte in einer Pension, deshalb konnten sie es nie bei ihm treiben. Und Penelope lebte bei ihrer gebrechlichen Mutter, also kam ihr Zimmer ebenfalls nicht in Frage. Die beiden gingen seit einem Jahr miteinander … oder vielleicht war gehen nicht ganz das richtige Wort. Ein anderes, mit »F« am Anfang, würde es wohl besser treffen. Penelopes Arbeitsplatz war so ziemlich der einzige ungestörte Ort, an dem sie sich treffen konnten, abgesehen von den seltenen Gelegenheiten, wenn einer von beiden vierzig Mäuse für eine Nacht in einer der Absteigen in der Nähe des Armeegeländes übrig hatte. Gary war die meiste Zeit über arbeitslos, er war erst vor kurzem aus der Army entlassen worden. Man hatte ihn kurz vor Ablauf seiner Dienstzeit verabschiedet, weil er dem Bataillonsführer in den Kaffeebecher uriniert hatte. Die Anschuldigung war vor dem Militärgericht schwer zurückzuweisen gewesen, da der Staatsanwalt dem Gericht das Sicherheitsvideo des lächelnden Gary bei der Ausführung der Untat zeigen konnte. Dreißig Tage Bau und unehrenhafte Entlassung folgten der Verhandlung. Sein einziger Trost war, dass der Bataillonsführer den ganzen Tag aus
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