Inferno
Stadt so gut wie keine Möglichkeit gab, die Toten in festem Erdreich zu bestatten, trieben die aufgequollenen Leichen in den Kanälen, und in einigen Gebieten waren die Kanäle so von Toten verstopft, dass die Bestatter sie wie Flöße aufs Meer hinausbringen mussten. Kein Gebet schien die Pest in ihrer Wut aufhalten zu können. Als den Mächtigen der Stadt schließlich klar wurde, dass Ratten die Krankheit verbreiteten, war es zu spät. Trotzdem erließ Venedig ein Dekret, demzufolge alle einlaufenden Schiffe vierzig Tage lang weit vor der Stadt ankern mussten, bevor sie ihre Ladung löschen durften. Bis zum heutigen Tag erinnert die Zahl Vierzig – quaranta auf Italienisch – an diese düstere Zeit, denn auf sie geht der Begriff Quarantäne zurück.
Maurizios Boot raste um die nächste Kurve im Kanal. Ein rotes Sonnensegel flatterte im Wind und lenkte Langdon von den finsteren Gedanken an den Tod ab. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf das elegante dreiteilige Gebäude zu seiner Linken.
CASINÒ DI VENEZIA : AN INFINITE EMOTION .
Langdon hatte den Sinn der Worte auf dem Banner des Casinos zwar nie so recht verstanden, doch der spektakuläre Renaissancepalast gehörte seit dem sechzehnten Jahrhundert zum Stadtbild von Venedig. Einst ein Privathaus, war er nun eine elegante Spielhalle, die berühmt wurde, als Richard Wagner hier 1883 kurz nach der Uraufführung des Parsifal seinen tödlichen Herzschlag erlitten hatte.
Hinter dem Casino, rechts, hing ein noch größeres Banner an einer reich verzierten Barockfassade und verkündete: CA ’ PESARO : GALLERIA INTERNAZIONALE D’ ARTE MODERNA . Vor einigen Jahren war Langdon einmal in diesem Museum gewesen und hatte sich Gustav Klimts Meisterwerk Der Kuss angesehen, zu dieser Zeit eine Leihgabe aus Wien. Klimts schwindelerregende Blattgolddarstellung zweier ineinander verschlungener Liebender hatte in Langdon eine große Leidenschaft für das Gesamtwerk des Künstlers geweckt. Bis heute führte er seine Liebe zur modernen Kunst auf jenen Besuch im Ca’ Pesaro von Venedig zurück.
Der Kanal wurde breiter, und Maurizio gab Gas.
Vor ihnen ragte die weltberühmte Rialto-Brücke auf – die Hälfte des Wegs zum Markusplatz hatten sie nun hinter sich. Kurz bevor sie unter der Brücke durchfuhren, hob Langdon den Blick. Eine einsame Gestalt stand regungslos an der Brüstung. Sie starrte ernst zu ihnen herab.
Sie wirkte vertraut … und furchterregend zugleich. Langdon duckte sich instinktiv.
Das Gesicht war gräulich, lang und schmal, mit kalten, toten Augen und einer langen Hakennase.
Als das Boot unter der unheimlichen Gestalt hindurchfuhr, begriff Langdon, dass es nur ein Tourist war, der einen Neuerwerb zur Schau trug: eine der vielen Masken, die jeden Tag auf dem Markt von Rialto verkauft wurden.
Heute jedoch wirkte das Kostüm auf ihn alles andere als charmant.
KAPITEL 69
Der Markusplatz liegt an der Südspitze des Canal Grande, wo die geschlossene Wasserstraße sich mit dem offenen Meer vereint. Unmittelbar an dieser gefährlichen Schnittstelle erhebt sich die strenge, dreieckige Festung Dogana di Mare, das alte Zollamt, dessen Wachturm Venedig einst vor feindlichen Eindringlingen beschützte. Heutzutage steht an der Stelle des einstigen Turms ein massiver goldener Globus und darauf eine Wetterfahne in Gestalt der Göttin Fortuna, deren ständiges Drehen die Seeleute an die Unberechenbarkeit des Schicksals erinnert.
Als Maurizios Boot den Kanal verließ, breitete sich das böige Meer bedrohlich vor ihnen aus. Robert Langdon war diese Strecke schon viele Male gefahren, aber immer in einem größeren Vaporetto. Er wurde ein wenig nervös, als ihr deutlich schmaleres Boot über die stetig größer werdenden Wellen hüpfte.
Um die Anlegestelle am Markusplatz zu erreichen, musste das Boot ein Stück über die offene Lagune, wo sich Hunderte andere Schiffe drängten, von der Luxusyacht bis hin zu Tankern, kleinen Segelbooten und riesigen Kreuzfahrtschiffen. Langdon hatte das Gefühl, als würden sie von einer Landstraße auf eine achtspurige Autobahn einbiegen.
Sienna schien ebenfalls unwohl zumute zu sein. Nervös beäugte sie ein zehnstöckiges Kreuzfahrtschiff, das knapp dreihundert Meter entfernt vor ihnen kreuzte. Auf den Decks wimmelte es von Passagieren, und alle drängten sie sich an die Reling und machten Fotos vom Markusplatz. Im Kielwasser des Schiffes folgten drei weitere und warteten auf ihre Chance, ebenfalls an Venedigs berühmtester
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