Inferno
wirklich klug wäre, den natürlichen Prozess der Evolution zu beschleunigen.«
»Robert«, erwiderte Sienna eindringlich. »Gentechnologie stellt keine Beschleunigung des Evolutionsprozesses dar. Sie ist der natürliche Lauf der Dinge! Sie vergessen, dass es die Evolution war, die Bertrand Zobrist erschaffen hat. Sein überlegener Intellekt war das Produkt genau des Prozesses, den Darwin beschrieben hat … einer langsamen Evolution. Bertrands seltenes Talent für Genetik kam nicht über Nacht als göttliche Inspiration. Es war das Produkt von jahrhundertelanger Weiterentwicklung des menschlichen Intellekts.«
Langdon schwieg, während er über Siennas Worte nachdachte.
»Als Darwinist müssten Sie außerdem wissen, dass die Natur stets einen Weg gefunden hat, die menschliche Population unter Kontrolle zu halten … Seuchen, Hungersnöte, Kriege, Flutkatastrophen. Ich möchte Ihnen eine Frage stellen – wäre es nicht möglich, dass die Natur diesmal einen anderen Weg eingeschlagen hat? Anstatt uns immer wieder furchtbare Desaster und noch mehr Elend zu schicken, hat sie einen Wissenschaftler erschaffen. Einen Wissenschaftler, der eine Methode entwickelt hat, um unsere Zahl mit der Zeit zu verkleinern. Keine Seuchen mehr. Keine Desaster. Sondern eine Spezies, die mehr im Einklang ist mit ihrer Umwelt.«
»Sienna …«, unterbrach Sinskey. »Es ist schon spät. Wir müssen los. Aber vorher möchte ich noch eine Sache klarstellen. Sie haben mir heute Abend mehrfach beteuert, dass Bertrand Zobrist kein böser Mensch war … dass er im Gegenteil die Menschheit liebte und von einer so tiefen Sehnsucht besessen war, unsere Spezies zu retten, dass er seine dramatische Maßnahme vor sich selbst rechtfertigen konnte.«
Sienna nickte. »Das Ergebnis rechtfertigt die Mittel«, sagte sie, indem sie den berühmten florentinischen Staatsmann Machiavelli zitierte.
»Verraten Sie mir, Sienna – glauben Sie das wirklich? Glauben Sie, Bertrand Zobrists hehres Ziel, die Welt zu retten, rechtfertigt die Freisetzung seines viralen Vektors?«
Schweigen senkte sich über den Raum.
Sienna beugte sich vor und blickte Sinskey fest in die Augen. »Dr. Sinskey, wie ich bereits sagte – ich denke, Bertrands Handeln war rücksichtslos und extrem gefährlich. Wenn ich ihn hätte aufhalten können, ich hätte nicht eine Sekunde gezögert. Das müssen Sie mir glauben.«
Elizabeth Sinskey ergriff Siennas Hände. »Ich glaube Ihnen, Sienna. Ich glaube Ihnen jedes Wort.«
KAPITEL 103
Die Luft kurz vor Tagesanbruch auf dem Atatürk-Flughafen war kühl und dunstig. Ein leichter Nebel hatte sich auf das Vorfeld des privaten Terminals gesenkt.
Langdon, Sienna und Sinskey trafen in einer Limousine ein und wurden von einem Mitarbeiter der WHO in Empfang genommen, der ihnen beim Aussteigen behilflich war.
»Es kann jederzeit losgehen, Madame«, sagte der Mann und führte die drei in das bescheidene Gebäude.
»Alles vorbereitet für Mr. Langdon?«, erkundigte sich Sinskey.
»Ein privater Flug nach Florenz. Seine vorläufigen Reisedokumente sind bereits an Bord.«
Sinskey nickte. »Die andere Angelegenheit, die wir besprochen haben?«
»Bereits in Arbeit. Das Paket wird sobald wie möglich verschickt.«
Sinskey dankte dem Mann, der sich umwandte und auf den Ausgang zum Vorfeld zuhielt, wo das Flugzeug wartete. Sie sah Langdon an. »Sind Sie sicher, dass Sie uns nicht Gesellschaft leisten wollen?« Sie schenkte ihm ein müdes Lächeln.
»Angesichts der Situation … ich glaube nicht, dass ein Kunsthistoriker viel beizutragen hätte«, antwortete Langdon lächelnd.
»Sie haben eine Menge beigetragen«, widersprach Sinskey ihm. »Mehr als Sie ahnen. Nicht zuletzt …« Sie deutete in Siennas Richtung. Die junge Frau stand zwanzig Meter hinter ihnen an einem großen Fenster und blickte gedankenversunken hinaus auf die wartende C-130.
»Danke, dass Sie ihr vertrauen«, sagte Langdon leise. »Das ist eine ungewohnte Erfahrung für Sienna, und sie weiß es sicher sehr zu schätzen.«
»Oh, Sienna Brooks und ich können viel voneinander lernen.« Sinskey streckte die Hand aus. »Gute Reise, Professor.«
»Ihnen auch«, sagte Langdon, als sie sich die Hände schüttelten. »Viel Glück in Genf.«
»Das werden wir brauchen«, sagte sie und neigte den Kopf in Richtung Sienna. »Ich lasse Ihnen ein paar Minuten. Schicken Sie sie an Bord, wenn Sie soweit sind.«
Als Sinskey sich entfernte, griff sie geistesabwesend in ihre Tasche und
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