Inferno
einfanden und neugierig dem Treiben der Polizei zusahen.
In diesem Moment erklang wieder das giftige helle Summen der Drohne, die sich über den Park hinweg näherte.
»Jetzt oder nie!«, sagte Langdon, packte Sienna bei der Hand und zog sie mit sich auf den Platz hinaus. In ruhigem, zielstrebigem Tempo schritt er durch die versammelten Touristen dem Fußweg entgegen, und Sienna kämpfte gegen den Drang zu laufen an. Langdon hielt sie fest an der Hand.
Als sie den Anfang des Fußwegs erreicht hatten, warf Sienna hastig einen Blick über die Schulter. Niemand hatte sie entdeckt. Die wenigen Polizisten in Sicht hatten sich alle umgewandt und starrten zu dem summenden kleinen Helikopter.
Sienna drehte sich um und rannte mit Langdon den Weg hinunter.
Direkt vor ihnen erhob sich die Silhouette der Altstadt von Florenz über die Baumwipfel. Sienna sah die rot geziegelte Kuppel des Doms und den mit weißem, grünem und rosafarbenem Marmor verkleideten Campanile von Giotto. Für einen flüchtigen Moment konnte sie auch den krenelierten Turm des Palazzo Vecchio erkennen – ihr Ziel, das in anscheinend unerreichbarer Ferne lag –, doch dann führte der Weg weiter nach unten, und die hohen Mauern versperrten die Sicht.
Als sie am Fuß des Hangs ankamen, fragte sie sich, ob Langdon überhaupt wusste, wohin sie liefen. Der Weg führte in einen Labyrinthgarten, doch Langdon bog vorher nach links in einen weiten, gekiesten Hof ein. In der Deckung einer Hecke und im Schatten überhängender Zweige umrundeten sie den Hof. Er lag verlassen und schien eher als Angestelltenparkplatz zu dienen denn als Touristenattraktion.
»Wohin gehen wir?«, fragte Sienna.
»Wir sind gleich da.«
Wir sind gleich da? Der Hof war ringsum von hohen Mauern umschlossen, und der einzige erkennbare Ausgang war versperrt durch ein massives schmiedeeisernes Gittertor, das aussah, als stamme es aus der Zeit der Erbauung des Palasts. Hinter dem Tor sah Sienna die Polizei, die sich auf der Piazza dei Pitti eingefunden hatte.
Langdon hielt im Schutz der Vegetation direkt auf die Mauer vor ihnen zu. Sienna suchte die glatte Fassade nach einem möglichen Eingang ab, doch außer einer Nische mit einer abgrundtief hässlichen Statue war nichts zu sehen.
Gütiger Himmel, die Medici konnten sich jedes Kunstwerk auf Erden leisten, und sie haben dieses Ding genommen?
Die Statue stellte einen fetten, nackten Zwerg dar, der rittlings auf einer Riesenschildkröte saß. Die Testikel des Zwergs drückten sich gegen den Panzer, und aus dem Mund der Schildkröte troff Wasser, als sabbere sie.
»Ich weiß, er ist hässlich«, sagte Langdon, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. »Das ist Pietro Barbino, ein berühmter Hofzwerg. Wenn Sie mich fragen, sollten sie ihn wieder in seine Riesenbadewanne setzen.«
Langdon wandte sich nach rechts und hastete eine Treppe hinunter, die Sienna erst jetzt sah.
Ein Weg nach draußen?
Der Hoffnungsfunke erlosch rasch wieder.
Als sie hinter Langdon um die Ecke bog, erkannte sie, dass sie in eine Sackgasse mit hohen Mauern liefen. Sienna befürchtete, dass ihre Flucht am Eingang der großen Kaverne enden würde – einer tiefen Grotte, die in die Wand gearbeitet worden war. Er will doch wohl nicht dorthin ?
Über dem gähnenden Eingang der Grotte hingen unheilverkündend dolchartige Stalaktiten. Im Hohlraum dahinter waren geologische Formen zu sehen, die wie geschmolzene Steine wirkten … Gebilde, die zu Siennas Erschrecken aussahen wie halb im Fels steckende menschliche Gestalten. Es war ein Anblick wie aus Botticellis La Mappa dell’Inferno .
Langdon rannte unbeirrt weiter auf den Eingang der Grotte zu. Er hatte zwar vorhin einen Kommentar über den Vatikan gemacht, doch Sienna war ziemlich sicher, dass es hinter den Mauern der päpstlichen Regierung keine schauerlichen Grotten gab.
Als sie näher kamen, blickte Sienna zu dem breiten Gesims über dem Eingang. Eine gespenstische Ansammlung von Stalaktiten und nebulösen steinernen Gebilden rahmte zwei im Relief herausgearbeitete Frauen ein, die rechts und links am berühmten Wappen der Medici lehnten, einem Schild mit sechs Kugeln.
Langdon wandte sich unvermittelt nach links, weg vom Eingang der Grotte. Dort befand sich eine kleine graue Tür, die Sienna bis zu diesem Moment entgangen war. Sie war aus Holz und sah unbedeutend aus, wie der Eingang zu einer Besenkammer oder einem Gerätehaus.
Langdon hoffte offensichtlich, dass sie offen war, doch sie hatte keinen
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