Inferno
denkwürdigste Bauwerk von ganz Florenz. Ursprünglich geplant als Attraktion für junge Gäste des Palazzo Pitti, ist die aus drei Kammern bestehende Grotte verziert mit einer Mischung aus naturnaher Fantasie und gruseligem Exzess. Die zahlreichen tropfenden Figuren und der fließende Stein erwecken je nach Betrachtungsweise den Eindruck, als würden sie von den Wänden entweder verschlungen oder ausgespuckt. Zu Zeiten der Medici hatte herabfließendes Wasser diesen Eindruck noch verstärkt, Wasser, das in den heißen toskanischen Sommern zur Kühlung gedient hatte.
Langdon und Sienna versteckten sich in der ersten und größten Kammer hinter dem unscheinbaren runden Marmorbrunnen. Sie waren umgeben von prachtvollen Skulpturen von Schäfern, Musikern, Tieren und sogar den Kopien von Michelangelos vier unvollendeten Prigioni. Alle sahen aus, als versuchten sie sich aus der glatten, beinahe flüssig aussehenden Wand herauszulösen, die sie halb verschlungen hielt. Hoch oben, in der Mitte der Decke, fiel helles Morgenlicht durch einen Okulus, der einst eine große wassergefüllte Glaskugel mit leuchtenden Goldfischen gehalten hatte.
Langdon fragte sich, wie die Besucher der Renaissance auf den Miniaturhelikopter vor der Grotte reagiert hätten – den Gestalt gewordenen Traum Leonardo da Vincis, eines der größten Söhne Italiens.
In diesem Moment verstummte wie auf ein Stichwort hin das ohrenbetäubende Summen der Drohne.
Verblüfft spähte Langdon hinter dem Brunnen hervor und stellte fest, dass der kleine Hubschrauber gelandet war. Er stand mitten vor dem Eingang der Grotte und wirkte nicht mehr so unheilvoll wie zuvor – was auch an der Videokamera lag, die nun zur Seite gerichtet war, auf die kleine graue Tür.
Langdons Gefühl der Erleichterung schwand rasch wieder. Hundert Meter hinter der Drohne, nahe der Statue des Hofzwergs Pietro Barbino auf der Schildkröte, waren drei schwer bewaffnete Soldaten in schwarzen Monturen aufgetaucht. Zielstrebig näherten sie sich dem Eingang der Grotte.
Der muskulöse Anführer hatte einen eisig kalten Blick, der Langdon an die Pestmaske in seinen Visionen erinnerte.
Ich bin der Tod.
Von dem schwarzen Van oder der mysteriösen silberhaarigen Frau war nichts zu sehen.
Ich bin das Leben.
Die Soldaten kamen die Treppe herunter. Einer von ihnen postierte sich unten am Fuß, wohl um zu verhindern, dass ein Unbefugter diesen Bereich betrat. Die beiden anderen näherten sich mit unveränderter Geschwindigkeit dem Eingang der Grotte.
Langdon und Sienna zogen sich zurück, auch wenn es das Unausweichliche nur hinauszögerte. Sie krochen auf allen Vieren in die nächste Kammer, die kleiner, tiefer und dunkler war als die erste. Die Mitte dieses Raums wurde von der Skulptur eines ineinander verschlungenen Paares eingenommen, und Langdon und Sienna versteckten sich dahinter.
Vorsichtig spähte Langdon um den Sockel der Skulptur herum zu den sich nähernden Soldaten. Als die beiden Männer die Drohne erreichten, bückte sich einer von ihnen, nahm die kleine Flugmaschine hoch und untersuchte die Kamera.
Haben sie uns entdeckt oder nicht? , fragte sich Langdon und fürchtete, dass er die Antwort kannte.
Der muskulöse Soldat mit den kalten Augen hielt erst an, als er unmittelbar vor der Grotte stand.
Langdon wollte sich hinter die Statue zurückziehen und Sienna darauf vorbereiten, dass es vorbei war, als der Soldat sich plötzlich nach rechts wandte und verschwand.
Wo will er hin? , dachte Langdon. Weiß er nicht, dass wir hier drin sind?
Eine Sekunde später hörte er ein lautes Klopfen.
Die kleine graue Tür , dachte Langdon. Er scheint zu wissen, wohin sie führt .
Der Sicherheitsbeamte Ernesto Russo hatte stets davon geträumt, Fußballprofi zu werden. Inzwischen war er neunundzwanzig Jahre alt und übergewichtig und hatte eingesehen, dass sich dieser Kindheitstraum wohl nie erfüllen würde. Seit drei Jahren arbeitete er als Wachmann im Palazzo Pitti, saß jeden Tag im gleichen schrankgroßen Büro und verrichtete stets die gleiche langweilige Tätigkeit.
Ernesto war es gewohnt, dass neugierige Touristen an die kleine graue Tür neben der Grotta Grande klopften, hinter der sein Büro lag, und normalerweise ignorierte er das Klopfen, bis es von selbst aufhörte. An diesem Tag jedoch hatte das Klopfen einen anderen Klang. Es war laut, fordernd und hartnäckig.
Ärgerlich wandte er sich seinem Fernseher zu, auf dem die Wiederholung eines Fußballspiels lief –
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