Inferno
hinter sich und eilten weiter. Langdon musste an das Programmblatt des London Globe Theatre denken. Schelmischer Elf . »Sie sind eine talentierte Schauspielerin«, flüsterte er.
»Mir blieb nichts anderes übrig«, antwortete sie seltsam abwesend.
Langdon spürte nicht zum ersten Mal, dass diese Frau mehr Kummer erlebt hatte, als man auf den ersten Blick sah. Wieder regten sich seine Schuldgefühle, weil er sie in diese gefährliche Lage gebracht hatte. Doch daran war im Augenblick nichts zu ändern. Ihnen blieb keine andere Wahl, als die Sache durchzustehen.
Schwimm weiter durch den Tunnel … und bete, dass es einen Ausgang gibt.
Als sie sich dem Portikus näherten, stellte Langdon erleichtert fest, dass sein Gedächtnis ihn nicht im Stich gelassen hatte. Ein kleines Schild mit einem Pfeil zeigte auf den Saal; IL SALONE DEI CINQUECENTO stand darauf zu lesen. Der Saal der Fünfhundert , dachte Langdon und fragte sich, welche Antworten sie finden würden. Die Wahrheit offenbart sich nur durch die Augen des Todes. Was konnte das bedeuten?
»Möglicherweise ist der Eingang noch verschlossen«, sagte Langdon. Der Saal der Fünfhundert war zwar ein beliebtes Touristenziel, doch der Palazzo schien um diese frühe Zeit noch nicht für die Öffentlichkeit zugänglich zu sein.
Unvermittelt blieb Sienna stehen. »Hören Sie das auch?«
Langdon lauschte. Ein lautes Summen, dessen Ursprung unmittelbar hinter einer Ecke zu liegen schien. Bitte lass es keine Drohne sein , dachte Langdon. Vorsichtig spähte er um den Portikus. Dreißig Meter entfernt befand sich eine überraschend einfache Holztür – der Eingang zum Saal. Vor der Tür schob ein stämmiger Hausmeister eine elektrische Bohnermaschine hin und her.
Wächter des Tors.
Langdon richtete den Blick auf das Plastikschild mit den drei Piktogrammen, das neben dem Eingang an der Wand hing. Die Symbole waren selbst für einen Laien unmissverständlich: Eine durchgestrichene Videokamera, ein durchgestrichener Trinkbecher und zwei Strichmännchen, ein Mann und eine Frau.
Langdon atmete tief durch und näherte sich mit raschen Schritten dem Hausmeister. Die letzten Meter rannte er fast. Sienna eilte hinter ihm her.
Der Hausmeister sah überrascht auf. »Signori?«, fragte er und streckte die Arme aus, um die beiden aufzuhalten.
Langdon bedachte den Mann mit einem gequälten Lächeln – mehr eine Grimasse – und deutete entschuldigend auf die Symbole neben der Tür. »Toilette«, erklärte er mit gepresster Stimme. Es war keine Frage.
Der Hausmeister zögerte, und für einen kurzen Moment schien es, als wolle er ihnen die Bitte verwehren. Als er jedoch sah, wie Langdon vor ihm von einem Bein aufs andere trat, nickte er und winkte sie durch.
An der Tür zwinkerte Langdon Sienna zu. »Mitgefühl ist eine universale Sprache.«
KAPITEL 35
Einst war der Saal der Fünfhundert der größte umbaute Raum der Welt gewesen. Er wurde 1494 als Versammlungsort für den Consiglio Maggiore errichtet, den Großen Rat, der genau fünfhundert Mitglieder zählte, was dem Saal zu seinem Namen verhalf. Später war er auf Geheiß von Cosimo I. renoviert und beträchtlich erweitert worden. Cosimo, der damals mächtigste Mann ganz Italiens, hatte den großen Giorgio Vasari als Architekten und Aufseher über die Arbeiten bestellt.
In einer beachtlichen Ingenieursleistung hatte Vasari das Dach ein gutes Stück angehoben und Oberlichter installiert, sodass auf allen vier Seiten Tageslicht in den Saal fiel. Auf diese Weise war ein eleganter Ausstellungsraum für die schönsten Gemälde, Statuen und Büsten von Florenz entstanden.
Langdon widmete stets als Erstes seine Aufmerksamkeit dem Fußboden, der jedem Besucher unmissverständlich klar machte, dass dies kein gewöhnlicher Saal war. Ein großmaschiges quadratisches Gitter aus schwarzem Marmor unterteilte den ansonsten tiefroten Boden in gleich große Bereiche und verlieh der elfhundert Quadratmeter großen Halle eine Aura von Beständigkeit, Tiefe und Balance.
Langsam wanderte Langdons Blick zum anderen Ende des Saals, wo sechs dynamische Skulpturen, Le dodici fatiche di Eracle, die Zwölf Heldentaten des Herkules, die Wand säumten wie eine Phalanx aus Soldaten. Langdon ignorierte die oft verleumdete Figurengruppe von Eracle e Diomede , Herkules und Diomedes, deren nackte Leiber ineinander verschlungen waren; sie trugen einen missverständlich wirkenden Ringkampf aus, der den kreativen Penisgriff des Diomedes zeigte. Langdon
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