Infiziert
überhaupt einen Gedanken fasste. Sein Körper reagierte aus purer Angst vor dem Schmerz.
Er reagierte blitzschnell wie ein Soldat, der einem Befehl folgte und ohne darüber nachzudenken tat, wozu man ihn angewiesen hatte, als wäre er ein guter kleiner Nazi, der nur die Pläne eines anderen ausführte. Jawohl, Herr Kommandant. Ich werde die Juden und die Zigeuner und die Tschechen umbringen, weil ich selbst nicht denke, und das ist in Ordnung so, denn jemand hat es mir befohlen. Er war ein Roboter, ein mithilfe einer Fernbedienung gesteuerter Diener. Es demütigte ihn, nahm ihm seinen Stolz als Mensch.
Denn ein Mensch war schließlich für sein eigenes Schicksal verantwortlich. Er war nicht den Launen eines Sklaventreibers oder irgendeines anderen unterworfen, der ihn kontrollierte. Er versuchte, sich angesichts seines verletzten Stolzes zu trösten, indem er sich sagte, dass er großen Hunger hatte und ohnehin etwas gegessen hätte – und er nicht nur etwas aß, weil die Dreiecke es ihm befohlen hatten. Aber das war Schwachsinn. Im Augenblick fühlte er sich wie eine Marionette am Faden, die jedes Mal einen verrückten kleinen Tanz aufführte, wenn die Beunruhigenden Fünf an einem seiner Nerven zupften. Schlimmer als eine Marionette. Es kam ihm vor, als sei er wieder zehn Jahre alt und zucke jedes Mal vor Angst zusammen, wenn sein Vater sprach.
Er hatte immer noch das Ragu. Er fischte es aus dem Kühlschrank und holte eine Schachtel Rice-A-Roni aus dem Küchenschrank. Er hatte fast nichts mehr zu essen und würde schon sehr bald einkaufen müssen. Wäre das nicht zum Schreien komisch? Ein Verdammter, der an einem irrwitzigen Parasiten starb, schob einen Einkaufswagen durch Kroger’s und stellte sich eine letzte Mahlzeit zusammen, die er selbst kochen würde. Das ist wirklich ein großzügig eingerichteter Todestrakt.
Plötzlich hatte er eine Inspiration, was das Kochen betraf, als er das Rice-A-Roni zurückstellte und nach der halb vollen Tüte Cost-Cutter-Reis griff. Keine Nudeln, aber das Ragu sah einfach zu verdammt gut aus, als dass man es hätte ignorieren können. Er nahm einen Messbecher aus dem Küchenschrank und stellte einen Topf mit Wasser auf den Herd.
jetzt jetzt jetzt
Drohend zogen die Worte durch seinen Kopf.
»Immer mit der Ruhe. Das Essen ist in etwa zwanzig Minuten fertig.«
jetzt jetzt jetzt
»Es ist noch nicht fertig«, sagte Perry mit beschwörender Stimme. Er goss das Ragu in einen Topf, der nicht zu dem anderen passte, und brachte es zum Köcheln. »Wie ich schon sagte, ihr müsst ein paar Minuten warten.«
Der Geräuschklumpen untersuchte sein Gehirn.
was ist eine minute
hurensohn
»Eine Minute. Na ja, sechzig Sekunden.« Es schien so offensichtlich, dass eine Erklärung schwierig war. Es war seltsam, dass die Dreiecke keine Vorstellung von Zeit haben sollten. »Wisst ihr, was eine Sekunde ist? Was Zeit ist?«
sekunde nein zeit ja
Die Antwort kam schnell. Der Geräuschklumpen hatte sich kaum bemerkbar gemacht. Sie wussten, was Zeit war. Er würde ihnen erklären müssen, was eine Sekunde war. Er warf einen Blick auf die Uhr am Herd. Wenn sie sehen könnten, wäre eine Erklärung leicht.
»Ihr könnt nicht …« Ein Schauder übermannte ihn, und er unterbrach sich, noch ehe er die Frage formuliert hatte. Plötzlich war er nicht mehr sicher, ob er die Antwort wissen wollte. »Ihr könnt nicht … sehen … oder? Durch meine Augen sehen?« Er hatte bisher noch nicht allzu sehr darüber nachgedacht, wozu diese Bastarde wirklich in der Lage waren. Sie konnten buchstäblich lesen, was er dachte; also konnten sie vielleicht auch die optischen Impulse, die sein
Gehirn erreichten, empfangen und lesen. Konnten sie die Impulse aufnehmen, noch während sie weitergeleitet wurden?
nein wir können nicht sehen
Die Antwort war eine Erleichterung, doch die Erleichterung hielt nicht lange an. Der Rest der Antwort machte sie zunichte.
noch nicht
Noch nicht.
Sie wuchsen immer noch. Vielleicht würden sie einfach sein gesamtes Denken übernehmen und Perrys eigenes Bewusstsein Schritt für Schritt beiseitedrängen. Vielleicht schnürten sie seinem Gehirn langsam jede Existenzmöglichkeit ab, wie dieses faserige, hoch aufschießende Unkraut, das in einem Garten einer Rose methodisch die Nährstoffe abschneidet. Die Rose mag schön, strahlend und sanft sein, doch das Unkraut … das Unkraut überlebt. Es wächst trotz karger Erde, Felsen, schlechtem Wetter und kaum vorhandenem Licht. Es
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