Infiziert
Monclova und die Teenagerjahre in Piedras Negras, Mexico, verbracht. Dann mit neunzehn Jahren heimlich über die Grenze, quer durch Texas und über Texas hinaus. Sieben Jahre arbeiten, sich verstecken, lügen.
Und immer weiter nach Norden. Sie hatte Luis in Chickasha, Oklahoma, getroffen, und dann hatten sie zusammen ihren Weg durch Amerika gemacht: über St. Louis und Chicago bis zu ihrer Mutter in Grand Rapids, Michigan. Eine kleine Änderung der Route hatte sie schließlich nach Osten geführt, als Luis eine feste Stelle als Bauarbeiter in Jackson gefunden hatte.
Dann hatte das Jucken angefangen. Und nicht lange danach der Drang, weiter nach Norden zu ziehen. Nein, es war nicht wie zuvor. Es war nicht nur ein Drang.
Das Jucken hatte es zu einer Mission gemacht.
Doch schließlich, nach siebenundzwanzig Jahren, konnte sie aufhören weiterzuziehen. Sie starrte die Eichen an, die nacheinander zu greifen schienen. Wie Liebende. Wie Mann und Frau. Sie konnte nicht mehr aufhören, an ihn zu denken, konnte nicht mehr aufhören, an ihren Luis zu denken. Aber jetzt war alles gut, denn sie würde bald bei ihm sein.
Noch einmal warf sie einen Blick zurück. Der Schnee bedeckte bereits ihren blutigen Pfad und verwandelte das Rot in ein blasses Rosa, das in Kürze wieder weiß werden würde. La migra suchte sie. Sie wollten sie töten … Doch wenn ihre Verfolger mehr als fünfzehn oder zwanzig Minuten zurücklagen, würde ihre Spur bald für immer verschwunden sein.
Alida wandte sich wieder um, denn sie wollte die Bäume noch einmal betrachten, dieses Bild einer überwältigenden Skulptur in ihrem Kopf.
Das ist der Ort.
Sie zog den Revolver Kaliber 38 aus der Tasche und hielt sich den Lauf an die Schläfe.
Als sie den Abzug drückte, funktionierten ihre Finger vollkommen problemlos.
1
Captain Jinky
»FM 92,5, Hörertelefon. Worüber möchten Sie gerne sprechen? «
»Ich habe sie alle umgebracht.«
Marsha Stubbins stöhnte. Noch so ein Arschloch, das sich für wahnsinnig witzig hielt und versuchte, mit einer durchgeknallten Geschichte auf Sendung zu kommen.
»Tatsächlich? Das ist aber nett von Ihnen, Sir.«
»Ich muss mit Captain Jinky sprechen. Die Welt muss Bescheid wissen.«
Marsha nickte. Es war Viertel nach sechs am Morgen, genau die Zeit, zu der die Irren und die Vollidioten aus dem Bett fielen, um zuzuhören, wie Captain Jinky & the Morning Zoolanders ihre Scherze über den Sender verbreiteten. Es war genau die Zeit, in der sie das Gefühl bekamen, dass sie sich unbedingt an der Sendung beteiligen mussten. Das passierte jeden Morgen. Jeden … einzelnen … Morgen.
»Was muss Captain Jinky wissen, Sir?«
»Er muss Bescheid wissen über die Dreiecke.« Die Stimme war leise. Die Worte wurden von schweren Atemzügen unterbrochen, als versuche jemand zu sprechen, nachdem er sich beim Sport völlig verausgabt hatte.
»Stimmt, die Dreiecke. Das hört sich allerdings eher nach einem persönlichen Problem an, Sir.«
»Behandle mich nicht von oben herab, du blöde Fotze!«
»Hey, Sie werden mich nicht so anschreien, nur weil ich hier die Anrufe entgegennehme, ist das klar?«
»Es sind die Dreiecke! Wir müssen unbedingt etwas tun.
Stell mich zu Jinky durch, oder ich komm rüber und ramm dir ein beschissenes Messer ins Auge!«
»Hmm«, sagte Marsha. »Ein Messer ins Auge. Alles klar.«
»Ich habe gerade meine gesamte Familie umgebracht, kapierst du das denn nicht? Ihr Blut klebt überall an mir. Ich musste es tun. Denn sie haben mich dazu gezwungen!«
»Das ist nicht witzig, du Idiot. Außerdem bist du schon der dritte Massenmörder, der heute Morgen hier anruft. Wenn du dich noch einmal meldest, verständige ich die Cops.«
Der Mann legte auf. Sie spürte, dass er noch etwas hatte sagen und sie vielleicht wieder hatte anschreien wollen. Doch als sie die Cops erwähnte, hatte er die Verbindung sofort unterbrochen.
Marsha rieb sich über das Gesicht. Sie hatte diese Praktikumsstelle gewollt, und wer hätte das nicht getan? Captain Jinky gehörte zu den morgendlichen Sendungen mit den besten Einschaltquoten in ganz Ohio. Aber dieser Mann und der Telefondienst mit all den verrückten Anrufen Tag für Tag … Es gab so viele Schwachköpfe da draußen, die sich für witzig hielten.
Sie ließ die Schultern kreisen und sah auf das Telefon. Alle Leitungen waren belegt. Es schien, als wolle jeder in der Stadt unbedingt auf Sendung. Marsha seufzte und drückte auf Leitung zwei.
In Cleveland, Ohio, gibt es
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