Ingrid
dich!«, schnauzte Harry und ging die Treppe hinauf.
Ein vager Geruch nach Alkohol und Tänzerinnenschweiß trieb mich nach oben. Unten wurde Gürbüz weggebracht. Die beiden anderen Bodyguards steckten ihre Pistolen in die Schulterholster und folgten mir die Treppe hinauf und durch einen langen, mit rotem Teppich ausgelegten Flur an nummerierten Türen vorbei.
Hinter der letzten Tür mit dem Schild Privat befand sich ein geräumiges, nicht allzu protziges Direktionsbüro mit Eichenmöbeln, Fenstern, von denen aus man auf den IJ blickte, und Reproduktionen von Van Gogh an der Wand. »Kein Toulouse Lautrec?«, fragte ich.
»Wer ist das denn?«
»Er hat Huren gemalt und über einem Bordell gewohnt.«
Harry kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und versuchte herauszufinden, ob ich ihn beleidigte.
»Hemingway übrigens auch«, fügte ich daher hastig hinzu.
Von Hemingway hatte er schon mal etwas gehört. Er ging um den Schreibtisch herum. Ich vermutete, dass sich dahinter eine erhöhte Plattform befand, denn er stieg Stufen hinauf, bevor er sich setzte und mir bedeutete, in einem Sessel Platz zu nehmen. Ein Bodyguard war draußen auf dem Flur geblieben, der andere zog eine offen stehende Tür zu einem angrenzenden Raum zu und blieb abwartend davor stehen.
Harry öffnete eine kleine Kiste auf seinem Schreibtisch. »Du wolltest über Jenny reden«, sagte er. »Ich höre.«
»Sie hat für dich gearbeitet beziehungsweise für Schauker. Sie war meine Nachbarin.«
Harry hob die Hand. »Timmy, geh solange die Hühner füttern.«
Der Leibwächter nickte und verließ das Büro.
Harry nutzte die Pause, um sich eine Zigarre in den Mund zu stecken. Die Zigarre brachte mich darauf, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte. »Du bist über den Deich gefahren, in einem Pontiac.«
»Ach ja?«
»Du hast gefragt, wo eine gewisse Juffrouw Kramer wohnt.«
»Ach so. Dieser Deich.«
»Ich kannte meine Nachbarin aber nur als Jennifer van Maurik, deshalb habe ich dich in die Pampa geschickt. Hast du sie trotzdem gefunden?«
Harry legte ruhig seine Zigarre hin und schaute mich an.
»Die Polizei weiß inzwischen auch, dass sie Jennifer Kramer hieß. Sie werden sich bestimmt dafür interessieren, wer am Vorabend ihres Todes in einem Pontiac über den Deich gefahren ist. Musste ich deshalb aus dem Verkehr gezogen werden?«
»Meine Geduld ist langsam zu Ende.«
Ich verlor meine auch allmählich. »Dann eben im Telegrammstil: Typen im Haus, Beule auf meinem Kopf, Fahrt im Kofferraum zu einem Hotelzimmer mit Gesellschaftsdame, aber ohne Zimmerschlüssel in Maarssenbroek. Kurierdienst Calluna?«
Wieder schaute er mich so merkwürdig an, und plötzlich war ich mir sicher, dass ich an der falschen Adresse war. Er sagte: »Ich habe Jennifer sehr gern gehabt. Leute, die mich verdächtigen, etwas mit ihrem Tod zu tun zu haben, habe ich nicht gern. Wenn ich dich aus dem Verkehr hätte ziehen wollen, würdest du nicht hier sitzen. Scheiße!« Harry ballte die Fäuste, und ich erkannte zu meiner Verwunderung, dass er ungeschickt wegschaute, offenbar um Gefühle der Trauer und Reue zu verbergen.
»Darf ich dir ein paar Fragen stellen?«, fragte ich nach einer kurzen Stille.
»Wenn du den Mörder von Jenny schnappst, lasse ich ihn von vier Autos in Stücke reißen«, sagte Harry.
»Und ich hätte nichts dagegen, eins dieser Autos zu fahren«, entgegnete ich.
Harry schaute mich eine Weile lang an und sagte dann: »Du könntest für mich arbeiten, dann darfst du fragen, was du willst und verdienst auch noch dabei.«
»Ich habe schon einen Klienten.«
»Ich zahle das Doppelte. Plus Leibwächter.«
»Vielleicht wirst du nicht mehr so begeistert sein, wenn du hörst, warum ich dachte, dass der Mörder aus deiner Umgebung oder aus der von Richard Schauker kommen könnte.«
»Schauker sitzt im Knast, den kannst du vergessen.«
»Aber du warst gerade erst rausgekommen.«
Harry nickte. »Ich habe oft an sie gedacht. Jemand hat mir erzählt, dass sie ein Kind hatte und aufs Land gezogen war, irgendwo am Lingedeich. Ich wollte sie besuchen und sie fragen, ob sie wieder für mich arbeiten wollte. Aber ich habe sie nicht gefunden, auch nicht an diesem Abend. Ein paar Tage später hörte ich, dass sie in derselben Nacht ermordet wurde.«
Wieder schwieg er für einen Augenblick. Er schob den Unterkiefer nach vorn und sog die Unterlippe nach innen. Dann fragte er: »Warum hätte der Mörder aus unseren Kreisen kommen sollen?«
»Jennifer hat euch
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