Ingrid
glaubte mir keine Sekunde, aber er war mit den Gedanken schon wieder bei Jennifer. »Ich hätte das Kind schon akzeptiert«, sagte er großmütig.
»Der Junge wird es gut haben.«
Er zuckte leicht mit den Schultern. Man brauchte ihn nicht wegen eines Kindes zu beruhigen, das nicht von ihm war und ihn daher auch nicht interessierte. »Weißt du, woran ich denken muss?«, fragte er dann.
Ich blickte ihn fragend an.
»Ich stand mal bei einer polizeilichen Gegenüberstellung in einer Reihe mit ein paar Pennern und Zivilbullen, von denen keiner mir auch nur im Entferntesten ähnlich sah. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich hatte ich das merkwürdige Gefühl, dass Jenny hinter dem Spiegel stand und mich anschaute.«
»Wir machen einfach alles falsch«, sagte ich, nachdem ich Bart Simons angerufen und die Harryfrage geregelt hatte.
»Wir?«, fragte CyberNel. »Ich bin doch nur die helfende Hand.«
»Von A bis Z, die ganz normale Ermittlungsroutine, das ist es, was hier fehlt«, sagte ich entschlossen. »Wir haben noch nicht mal eine Liste von Verdächtigen. Wir lassen uns von der Polizei verdächtigen und reagieren nur, anstatt endlich selbst aktiv zu werden. Es wird höchste Zeit, dass wir unsere normale Arbeit machen, eine Liste aufstellen und sie Punkt für Punkt durchgehen.«
Nel applaudierte. »Bravo. Es fällt allmählich auf, dass du anfängst, im Pluralis majestatis zu reden, wenn dir nichts Sinnvolles mehr einfällt.«
Ich schaute sie an. »Du siehst aber schick aus«, sagte ich. »Ist das ein neues Kostüm? Komm mal her, hast du dir wirklich die Haare gebürstet oder kommt der Glanz daher, dass du verliebt bist?«
Sie kam zu mir hin, stellte einen Fuß auf meine Zehen und lehnte sich mit ihrem vollen Gewicht darauf. »Ich habe meine Haare gebürstet, und das hier ist mein bestes Kostüm. Ich muss mit Eddie zusammen zu einem Gespräch mit ein paar Typen von der ABN-Bank, um Geld für eine neue Erfindung locker zu machen.«
»Eure neue Methode, illegale Kartenkopiergeräte unschädlich zu machen? Damit hattet ihr doch ein paar kleine Probleme?«
CyberNel arbeitete zusammen mit ihrem Technikfreund an einem Heilmittel gegen die Plage der tragbaren Kartendupliziergeräte, kleinen Apparaten, mit denen kriminelle Kellner und anderes Gesindel die Kreditkarten nichts ahnender Kunden kopierten, um anschließend deren Konten zu plündern. Nels Idee war es, die Kreditkarten mit einem Kopierschutz auszurüsten, der außerdem die Geräte selbst unbrauchbar machte. Letzteres erwies sich als Problem, denn bisher zerstörte jede von Nel veränderte Karte nicht nur die illegalen Kartenkopierer, sondern auch jeden grundehrlichen Geldautomaten und Kartenleser, in die sie hineingesteckt wurde.
»Es funktioniert noch nicht absolut perfekt«, gab Nel zu. »Deshalb haben wir ja den Termin bei der Bank.«
»Klingt logisch. Meinst du, du hast trotzdem noch Zeit, diese Firma Calluna zu überprüfen?«
»Steht ganz oben auf meiner Liste.«
Ich küsste sie, und sie nahm ihren Fuß von meinen Zehen. »Fährst du zurück in dein Dorf am Fluss?«
Ich nickte. »Komm, sobald du kannst, ich brauche dich da sehr.«
Als sie weg war, saß ich eine Weile lang bei einer Tasse Kaffee in ihrem Wohnzimmer und dachte über meine Liste der Tatverdächtigen nach. Draußen schien die Sonne.
Thomas Niessen war wahrscheinlich kein Hauptverdächtiger, doch wenn ich wirklich vorhatte, ernsthaft alles von A bis Z zu überprüfen, musste ich mit seinem Alibi anfangen.
Leider bestand die einzige Methode darin, Louise Vredeling auszuhorchen, Niessens Verlobte.
Ihre Nummer stand im Telefonbuch, und auch die Adresse ihrer Wohnung. Ihre Stimme erinnerte mich an klassische Musik und kultivierte Teesalons. Sie passte gut zur Atmosphäre in der Kanzlei ihres Vaters. Louis Vredeling hätte sicher lieber einen Sohn nach sich benannt, doch in Ermangelung eines besseren hatte er vermutlich seine väterlichen Gefühle auf Louise konzentriert. Er gab ihr seinen Namen und hatte sie so lange und so gut wie möglich vor Drogen und Diskos, dem Studentenleben und den Gefahren von Amsterdam beschützt. So sah sie wenigstens aus, und laut Niessen war Louis Vredeling derart altmodisch und konservativ, dass er seine Tochter vermutlich auf Schweizer Internate geschickt hatte.
Nichtsdestotrotz konnte sie, im einundzwanzigsten Jahrhundert, unmöglich völlig weltfremd sein.
Ich hörte Louise zu, die den Anrufer aufforderte, eine Nachricht zu hinterlassen. Ich legte
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