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Ingrid

Ingrid

Titel: Ingrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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einen verärgerten Blick zu und schnauzte Irma an: »Konnte der nicht woanders hin? Ich musste schon zwei Telefongespräche annehmen!«
    »Tut mir Leid«, sagte Irma.
    Ich sah, wie Rik die Szene aus einer Bürotür heraus heimlich beobachtete. Er war bestimmt zehn Jahre älter als sein Chef, aber die neuen Unternehmen werden nun einmal von Teenagern geleitet. Der Rest der Welt im Übrigen auch, in zunehmendem Maße. Aber man gewöhnt sich an alles.
    »Er wird gleich abgeholt«, bemerkte Gerard.
    Ich zog am Gürtel des Regenmantels. »Es tut mir Leid, wenn ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe«, setzte ich höflich an. »Mein Name ist Max Winter …«
    Der junge Mann drehte sich ohne ein Wort um und verschwand durch die Tür, die Rik kriecherisch für ihn aufhielt.
    »Ekelpaket«, murmelte Gerard.
    Irma winkte uns in eine Sitzecke in der Nähe ihres Büros. Sie war offenbar die Telefonistin und Empfangsdame. »Er ist noch sehr jung, deshalb macht er so einen Wind«, sagte sie weise. »Alles Unsicherheit. Kaffee?«
    »Wie bist du ausgerechnet hier gelandet?«, fragte Gerard.
    Ich antwortete mit einer Geste der Unwissenheit. Wenn mein Traum, im Kofferraum eines Autos gelegen zu haben, kein Traum gewesen war, musste das Gästehaus, aus dem ich geflüchtet war, hier ganz in der Nähe sein. Ich hätte bestimmt keinen Kilometer laufen können.
    Irma brachte mir ein Telefon. Ich rief CyberNel an. Da die Mitarbeiter der Firma Softy keine Anstalten machten, sich zurückzuziehen, beließ ich es bei Gedächtnisverlust und las die Adresse vor, die Irma mir hilfsbereit hinhielt.
    Dann gab es für mich Kaffee und ein Käsebrötchen. Es war eine freundliche Firma, was bei dem Namen Softy ja auch zu erwarten war. Der Einzige, der alles verdarb, war der jugendliche Chef, der mit einem Ruck den Kopf zur Tür hinausstreckte und rief: »Wird hier heute nochmal gearbeitet, oder was? Der Auftrag für Tielemann muss noch vor zwölf Uhr raus!«
    »Aye aye Sir!«, rief Gerard. Und auf Deutsch: »Zu Befehl!« Er stand auf und winkte dem Erste-Hilfe-Mann zu. »Zu Befehl versteht er nicht, aber das mit dem Auftrag stimmt tatsächlich, verdammt. Viel Glück, wir sehen uns bestimmt nicht mehr.«
    Sie baten mich, sitzen zu bleiben, während sie sich mit Handschlag von mir verabschiedeten. Nachdem sie weg waren, blieb ich wie ein heruntergekommenes schwarzes Schaf der Familie in der Sitzecke zurück, lauschte Irmas angenehmer Telefonstimme und schaute an einer Topfpalme vorbei ihre Beine an, die mir weniger Kopfschmerzen bereiteten als die Boulevardzeitschriften auf dem kleinen Tisch. Hin und wieder fasste sie mit der Hand nach unten und zog einen Strumpf glatt oder rieb sich über die Wade, als jucke es sie da ein bisschen.
    Ich wurde wach, weil mein Unterbewusstsein in der guten Akustik der Rezeption die Stimme CyberNels erkannte. Die Altstimme von Irma, und dann bog CyberNel um die Palme.
    »Ein Bild des Jammers«, sagte sie zur Begrüßung. »Hast du die Farbe selbst ausgesucht?«
    CyberNel hatte gerade erst einen gebrauchten Polo erstanden, in dessen Laderaum gleich hinter den Vordersitzen Ersatzteile und anderer Krempel lagen. Bevor wir auf die Autobahn fuhren, drehte sie ein paar Runden durch das Industriegebiet. Ich saß tief in den Sitz gerutscht in meinem geliehenen Regenmantel neben ihr und betrachtete die großen und kleinen Gebäude diverser Betriebe und Büros, ohne dass mir eines davon irgendwie bekannt vorkam. Gittertore auf Schienen gab es viele, ebenso wie Backsteinmauern. An viel mehr konnte ich mich nicht erinnern.
    Ohne besonderen Grund erregte ein Kurierdienst meine Aufmerksamkeit, und ich bat Nel, gegenüber anzuhalten, damit wir uns die Sache näher anschauen konnten. Lieferwagen und größere Lkws standen davor. Erst nach einer Minute begriff ich, dass mein Körper sich besser erinnerte als mein Gehirn: Ich war halb bewusstlos einen Meter nach unten gefallen, und auf der Rückseite dieses Backsteingebäudes befand sich eine etwa einen Meter hohe Laderampe.
    Ich notierte mir den Namen der Firma. Er besagte natürlich wenig. Wahrscheinlich gab es hier an die zwanzig Firmen mit Laderampen, Rolltoren auf Schienen und Backsteinwänden. Hatte ich das Tor aufgemacht? Oder hatte es offen gestanden, weil gerade ein später Lkw angekommen war?

 

10
     
     
    »Ich kann nichts dafür, Harry!«, brachte Gürbüz flehentlich hervor.
    Zwei der vier Leibwächter hielten ihn an Schultern und Armen fest, während mir ein dritter eine

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