Ingrid
bei der Polizei verpfiffen.«
Harry lief rot an. Er richtete sich hinter seinem Schreibtisch auf. Ich erschrak zu Tode, als er eine Pistole aus der Schublade hervorzog und schrie: »Tim! Rik!«
Die Tür flog auf, und die beiden Bodyguards stürmten mit gezogenen Pistolen herein.
Harry legte seine Pistole weg. »Gießt ihn in Beton und schmeißt ihn in den IJ!«
Wohl zu viele amerikanische Mafiafilme gesehen, dachte ich und hob die Hände in Schulterhöhe. »Gib mir ein Telefon, dann kannst du’s direkt von dem zuständigen Polizeibeamten hören, der sie betreut hat.«
Die Leibwächter packten mich an den Schulter und zerrten mich hoch. Ich schrie: »Sie ist tot, Harry, es spielt doch gar keine Rolle mehr! Aber trotzdem werden sie hinter dir her sein, die kriegen das sowieso raus, dass du auf dem Lingedeich warst, auch wenn du mich in Beton oder Zement gießt!«
Der kleine Harry hatte einen hohen Tenor, der auf Sopranhöhe kletterte, als er einen herzhaften Frustrationsfluch herausschrie. Beinahe wären die Scheiben zerplatzt. Die Leibwächter erstarrten. Dann holte Harry Luft und ließ sich zurück in seinen Stuhl fallen. Die Leibwächter ließen mich los.
Ich schaute Harry an, der seine Leute wegschickte. Jedes Kind konnte erkennen, dass meine Drohungen ihn kalt ließen. Er hatte einfach eine Schwäche für Jenny. Ich fragte mich, welche Beziehung sie zueinander gehabt hatten; als Paar konnte man sie sich nur schwer vorstellen. Ich war mir sicher, dass Jennifers Verrat eine absolute Überraschung für ihn war.
»Sie hatten sie in der Zange«, sagte ich. »Sie konnte nicht anders.«
Er saß wieder auf seinem erhöhten Stuhl, nickte ein paar Mal in Gedanken versunken mit dem Kopf und fragte: »Wie lange?«
»Die letzten paar Jahre.«
Er nickte wieder und legte seine Pistole zurück in die Schublade. »Scheiße«, sagte er. Ich musste ihm Recht geben. Wenn Harry die Rübe nicht der Mörder war und mich nicht entführt und eingesperrt hatte, konnte ich wieder von vorn anfangen. »Die Polizei sucht dich, behauptet aber, du wärst unauffindbar.«
»Das hier ist eine neue Adresse, das ist alles«, sagte Harry. »Ich brauche mich nicht vor der Polizei zu verstecken. Ich habe meine volle Strafe abgesessen, ich brauche mich noch nicht mal bei einem Bewährungshelfer zu melden.«
»Eines Tages kommen sie dich doch holen, setzen dich in ein Vernehmungszimmer und gehen dir auf die Nerven. Das kannst du verhindern, indem du mit Leuten von der Amsterdamer Kripo Kontakt aufnimmst. Einer von ihnen ist Bart Simons, mein ehemaliger Partner, der am Rande mit der Sache zu tun hat, der andere ist Guus Palmer. Palmer hat Jenny betreut, er kann dir hundertprozentig bestätigen, dass Jennifer auf keinen Fall aufgeflogen ist und dass der Mörder deshalb aus einer anderen Ecke kommen muss.«
Harry dachte eine Weile nach und nickte nicht besonders begeistert. »Ich gebe dir eine Nummer, unter der mich der Bulle erreichen kann.«
»Und Schauker?«, fragte ich.
Harry gab ein verbittertes Geräusch von sich und schüttelte den Kopf. »Schauker kannst du vergessen.«
»Er wäre nicht der Erste, der seine Geschäfte ganz gut von der Zelle aus zu regeln versteht.«
»Autos nach Russland verschieben, glauben, er hätte das Schießpulver erfunden und es gäbe keine besseren Verdienstmöglichkeiten. Der wird sich noch umgucken, wenn er nächstes Jahr rauskommt.«
Mit abwesendem Blick schien Harry sich innerlich auf kommende Verteilungskämpfe vorzubereiten. »Was das betrifft, hat Jenny mir einen Gefallen getan. Drei Jahre Luxusurlaub und dabei alle Zeit der Welt für eine Reorganisation.«
»Und das lässt Schauker sich bieten?«, fragte ich.
»Schauker war ein Blödmann«, sagte Harry, offensichtlich schon an den Gebrauch der Vergangenheitsform gewöhnt.
»Du hast gesagt, ich dürfe dir Fragen stellen.«
»Nicht, solange du nicht für mich arbeitest. Du hast nur deshalb starke Kopfschmerzen, weil du Jennys Nachbar warst. Wie ging es ihr?«
Er hatte nach wie vor eine Schwäche für sie, Verräterin hin oder her. »Jennifer war ein Schatz von einer Nachbarin. Ihr Sohn ist jetzt ungefähr drei und wirklich süß.«
»Aber nicht von mir.« Seine Stimme klang ein wenig bedauernd. »Wer ist der Vater?«
»Das weiß ich nicht.«
»Für wen arbeitest du denn, wenn nicht für ihn?«
Ich antwortete ausweichend: »Ich führe ein paar Recherchen im Zusammenhang mit der Adoption von Jennys Sohn durch. Es hat nichts damit zu tun.«
Er
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