Inmitten der Unendlichkeit
daraus…
Cinnabar beherrschte Bewegungsabläufe, die Brik nicht nachvollziehen konnte. Waren sie Produkte seiner Aufrüstung? Brik versuchte mit Hilfe seines Rechners, jedes Verhalten und jede Reaktion aus Cinnabar herauszurechnen, die das Ergebnis künstlicher Implantate und Verstärkungen waren, und Cinnabars virtuelles Selbst auf diese Weise auf ein unverstärktes Stadium zurückzuführen – aber trotz sorgfältigster Analysen blieb er unsicher, ob er das Verhalten eines unverstärkten Cinnabar vor sich sah oder die virtuelle Gestalt noch immer mit zurückgebliebenen Überresten der biomechanischen Implantate verseucht war.
Brik runzelte angestrengt die Stirn. Seine Muskeln zuckten vor Schmerz. Er ließ die Aufnahme in Zeitlupe ablaufen und kopierte jede einzelne Bewegung. Sie kamen ihm anstrengend und unvertraut vor. Wie hatte Cinnabar gelernt, sich so zu bewegen? Die besten Bewegungen waren die, die sich die eigene Körperkraft zunutze machten. Gab es hier vielleicht etwas, das ihm entging? Wahrscheinlich.
Und obwohl er sich sehr abmühen mußte, die Künste seiner Feinde zu verstehen, blickte er der Zukunft doch mit einer gewissen Zuversicht entgegen. Der moderne Krieg im Weltraum bot nur wenige Gelegenheiten zu Kämpfen, bei denen sich die Feinde Auge in Auge gegenüberstanden. Nichtsdestotrotz fuhr die Solidarität anscheinend fort, übertriebenen Wert auf Eigenschaften wie persönliche Disziplin und Stärke zu legen. Das war die falsche Richtung, auf die sie ihre Anstrengungen konzentrierte, und es mochte ihr sehr wohl beträchtliche strategische Nachteile einbringen.
Außer, Brik übersah schon wieder etwas…
Warum sollten die Morthaner so viel Zeit und Energie auf die Betonung der Persönlichkeit legen? Was waren ihre verborgenen Absichten und Pläne? Das war eine Frage, die er im Augenblick noch nicht beantworten konnte. Er besaß einfach nicht genug Informationen. Aber er nahm sich vor, die Frage mit Korie zu diskutieren, sobald der Erste Offizier wieder an Bord war.
An seiner Tür klopfte es – ein leises, beinahe zaghaftes Geräusch.
Brik schaltete die Holoaufnahme von Esker Cinnabar ab. Die Wände verblaßten zu fadem Grau. Brik kannte zwar keine Schamgefühle, aber er wußte auch, daß viele Menschen sich wegen seiner nackten Erscheinung entsetzen würden. Er erhob sich und griff nach einem Umhang. »Herein«, brummte er. Die Störung verärgerte ihn irgendwie.
Mit einem poppenden Geräusch glitt die Tür zur Seite, und Leutnant Helen Bach betrat sein Quartier. »Ich hoffe, ich störe nicht, Sir«, begann sie. »Es ist nicht so, daß ich Sie unbedingt sprechen müßte, aber…« Sie blickte sich unsicher um und erschrak über die Sprödigkeit des Raums.
»Aber?« fragte Brik.
»Ich habe mich gefragt, ob Sie nicht Lust haben, mir beim Abendessen Gesellschaft zu leisten?«
Brik dachte über die Einladung nach, nicht nur über die oberflächliche Bedeutung, sondern auch die darin verborgene Botschaft. »Die meisten Menschen mögen es nicht, zusammen mit Morthanern zu essen«, erwiderte er unverbindlich.
»Ich bin auf einer morthanischen Farm aufgewachsen.«
»Ja. Das haben Sie bereits erzählt.«
»Nun, ich… ich dachte, ich sollte mit Ihnen reden. Über den Dienst und meine Aufgaben.«
»Ich bin nicht hier, um… gute Ratschläge zu erteilen.«
»Das ist nicht das, was ich meine«, entgegnete Bach. »Ich… ähhh,… Das ist nicht so einfach. Und Sie machen es mir auch nicht gerade leichter. Ich dachte nur… weil wir jetzt so eng zusammenarbeiten, daß wir vielleicht… Freunde sein könnten. Das ist alles. Und Freunde reden miteinander. «
»Morthaner haben keine… Freunde.«
»Aber Menschen.« Sie erwiderte seinen durchdringenden Blick unerschrocken. »Und ich habe das Gefühl, daß Morthaner… ich weiß nicht so recht, ich meine, vielleicht… was ich sagen will: Sie befinden sich auf einem Schiff voller Menschen…« Unvermittelt schien Briks starrer Blick an Intensität zu gewinnen, und Bach senkte in plötzlicher Verlegenheit den Kopf. »Entschuldigung. Es tut mir leid, wenn ich etwas falsch verstanden habe.«
»Leutnant…!« Briks Stimme hielt sie fest, bevor sie sich abwenden konnte. »Ich weiß Ihre Geste zu schätzen. Ich glaube, ich verstehe die Beweggründe, die dahinterstecken. Aber ich denke, das ist nicht notwendig.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie projizieren Ihre eigene Wahrnehmung auf mich. Sie setzen Verhaltensweisen voraus, die nicht
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