Inmitten der Unendlichkeit
morthanische war als Gegner zu langsam und zu einfach. Und was noch schlimmer war: Man hatte den menschlichen Roboter anatomisch nicht korrekt programmiert. Brik konnte ihn so fest schlagen, daß jeder Mensch auf der Stelle an einem systolischen Schock gestorben wäre – aber dieser verdammte Roboter täuschte nur vor, daß seine Knochen gebrochen und er tödlich verwundet wäre. Direkt neben den Wartungsnischen seiner beiden Roboter befand sich eine Konsole mit Meßgeräten, die ihm verrieten, wie schnell seine Bewegungen abliefen, wie präzise er seine Ziele getroffen hatte und mit welcher Kraft. Im Gegensatz zu jedem anderen automatisierten System an Bord des Schiffs wurde Briks Ausrüstung nicht von der Schiffsintelligenz Harlie betrieben, sondern von einem Expertensystem für martialische Künste, das nach Briks Wissen das einzige von Morthanern entworfene System außerhalb des Gebietes der Morthan-Solidarität war.
Brik hoffte, eines Tages mit einem System arbeiten zu können, das von der Solidarität selbst stammte. Die Morthaner wußten eine ganze Menge weniger über Computerwissenschaften als die Allianz, aber dafür eine ganze Menge mehr über alles, was mit jedem anderen Aspekt von Kriegführung zu tun hatte. Aber Brik fühlte sich deswegen nicht benachteiligt.
Das Expertensystem, mit dem er arbeitete, war von seinen Vätern geschrieben worden.
Wie an jedem Tag flüsterte Brik einen Befehl, und der Raum begann sich zu verdunkeln. Er streifte seine Uniform ab und stopfte sie in einen überfüllten Wäschekorb; die Reinigung wurde zwar normalerweise von den Dienstrobotern des Schiffs erledigt, aber die Dekontaminationsprozeduren hatten zur Vernachlässigung vieler ihrer Routineaufgaben und damit zu Verzögerungen geführt. Nackt begann Brik, leise vor sich hinzusummen und sich auf sein Selbst zu konzentrieren. Er gelangte in Trance, und während er summte, bewegte er sich. Er kreiste durch die Sieben Muster des Selbst. Dies war weder ein Tanz noch eine Übung, sondern ein wenig von beidem, und das Ritual brachte ihn die Sieben Stufen der Leiter hinauf. Es gab sieben Hauptstufen in der Existenz der Selbstbewußtheit, und dazwischen zahlreiche kleinere Stufen – den gesamten Weg vom Nicht-Sein der Bewußtlosigkeit am Grund zu einem Meer helleuchtender Bewußtheit am oberen Ende.
Er begann mit seiner Wirbelsäule, dem animalischen Zentrum seines Körpers. Er drehte und streckte sich durch eine Reihe köstlich schmerzhafter Übungen. Er spürte die Spannung in seinem Körper wie eine Woge, die sein Inneres nach außen kehrte. Seine Muskeln verhärteten sich unter der Anstrengung, ließen den Schmerz hinter sich und gelangten an eine Schwelle, an der die Gewebe selbst aneinander zu zerren begannen, was die Freisetzung speziell entworfener Hormone in seinem Körper und von Endorphinen in seinem Gehirn bewirkte. Sein Körper wurde jetzt von diesen Stoffen überschwemmt, und er durchlief die Übung ein zweites und ein drittes Mal, und jedesmal erhob er sich zu größeren Gipfeln von Agonie und Ekstase. Für einen Morthaner gab es sowieso keinen Unterschied zwischen diesen beiden Gefühlen. Es war einfach überwältigend. Beinahe unkontrollierbar.
Während er seine physische Existenz ausdehnte, schien auch sein Bewußtsein zu wachsen. Es übersprang die Grenzen seines Körpers, die Paneelwände seiner Kabine, über den Polycarbonatschaum der Hülle des Kriegsschiffes, über die Sterne, über die Grenzen der Galaxis selbst hinaus, um schließlich und endlich die Universelle Bewußtheit des Dualen Paradoxons von Erleuchtung zu erfahren; die vielfältige Existenz von allem und nichts in einem unendlichen Reich. Er dehnte diesen Zustand aus, so lange er konnte, während er mit tiefer Stimme vor sich hinsummte, beinahe schnurrte wie eine Katze. Wenn er wirklich konzentriert war, konnte er sich für schmerzhaft lange Sekunden in diesem Bereich aus weißem Licht halten, bevor er den Gipfel überschritt und erschöpft in sich selbst zurückfiel, eigenartigerweise matt und erfrischt zugleich.
In diesem Zustand versuchte er nicht zu denken. Statt dessen ließ er die Gedanken einfach auf sich einströmen. Die Bilder flossen nacheinander durch seinen Kopf. Er versuchte nicht, ihnen eine Bedeutung zu entlocken. Er ließ sie einfach geschehen. Er sah ihnen zu, betrachtete sie, wie sie durch sein Bewußtsein strömten, und beobachtete seine Reaktionen. Manchmal war es Wut. Manchmal Furcht. Und in diesen Tagen mehr und mehr
Weitere Kostenlose Bücher