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Inmitten der Unendlichkeit

Inmitten der Unendlichkeit

Titel: Inmitten der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gerrold
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noch weitaus verrücktere Landschaft. Es hatte jedenfalls nicht lange gedauert, bis der junge Brik gelernt hatte, Transzendenz zu erreichen.
    Eines Abends hatte er – ohne Drogen und ohne Holodisplay – einfach die Augen geschlossen und bemerkt, daß er ohne jede bewußte Anstrengung plötzlich in ein Mandala eintauchte. Es war nicht der gleiche visuelle Eindruck, den das Holodisplay geliefert hatte, aber es war ganz eindeutig die gleiche Art von unendlicher Spirale nach vorn. Ihm war, als würde er ein endloses Labyrinth von dunklen Korridoren und Tunnels erforschen. Die Bilder flossen mit Leichtigkeit in seinen Verstand. Er kletterte hinauf, Treppen hinauf, schlich durch einen Flur, vorwärts, durch eine Tür, nach links und dann eine weitere Biegung, diesmal nach rechts, dann eine weitere, langgezogene Treppe hinauf, jetzt im Zickzack durch Korridore und Gänge huschend, hinauf zu den Sternen, über Rampen, tiefer und immer tiefer hinein in Richtung des Herzens; aber nie kam er dem Zentrum auch nur näher. Was immer das Zentrum sein mochte. Was immer im Zentrum auf ihn warten mochte. Er kam niemals nahe genug, um es herauszufinden.
    Aber das war auch gar nicht das Ziel. Der Weg war das Ziel. Die Reise hinauf und hinein. Er kam sehr weit, und am Ende lernte er die Barriere zwischen den Reichen des Bewußten und des Unbewußten zu überwinden und nach innen zu gelangen, wo die Seele selbst wohnte. Hier saß die wahre Kraft. Irgendwann lernte der junge Brik, seine Träume so einfach zu steuern, daß er sich nur niederlegen und die Augen schließen mußte.
    Aber hier an Bord der Sternenwolf war es nicht immer ganz leicht. Oftmals kehrte er nach Dienstende aufgewühlt in seine Kabine zurück. Es gab so vieles an diesen armen, weichen menschlichen Wesen, das er nicht verstand. Und daß er so vieles nicht verstand, das störte ihn ganz gewaltig. Es war nicht so, daß er sich vielleicht minderwertig oder benachteiligt fühlte – aber solange es einen oder mehrere Aspekte in ihrem Verhalten gab, die ihm rätselhaft blieben, so lange fühlte er sich verwundbar. Und wenn es etwas gab, das ihn verletzen konnte, dann kam es von einem dieser unergründlichen Orte in der menschlichen Seele. Der Gedanke schien ihm unerträglich. Verletzbarkeit war ein Zustand, den er auf keinen Fall tolerieren konnte.
    Er erkannte, daß der Fehler merkwürdigerweise an ihm selbst zu liegen schien.
    Auf einer gewissen Ebene verstand er die Notwendigkeit von Verletzlichkeit als Teil der Natur der Transzendenz. Man mußte sich dem Universum ergeben, wenn man Teil davon sein wollte. Aber auf einer anderen Ebene konnte er das einfach nicht. Seine morthanische Ausbildung machte es ihm unmöglich. Morthaner ergaben sich niemals irgend etwas. Nicht einmal dem Universum.
    Aber mittlerweile geschah das immer häufiger. Brik fand sich mehr und mehr im menschlichen Dilemma gefangen, und das frustrierte ihn so sehr, daß er keinerlei Transzendenz mehr zu erreichen imstande war. Er lag still in der Dunkelheit und ging nacheinander die Ereignisse des Tages durch. Er begann methodisch und sorgfältig mit seinen Ritualen der Auflösung, indem er jeden Moment aus jeder Perspektive analysierte, die er sich vorstellen konnte – aus den Blickwinkeln von moralischem Recht und Unrecht ebenso wie aus Positionen heraus, wo solche Begriffe bedeutungslos waren. Er fuhr damit fort, bis die Momente selbst bedeutungslos und zu nichts weiter als einem neuen Satz von Ereignissen im Fluß seiner persönlichen Zeit geworden waren. Dann und nur dann konnte er das jeweilige Ereignis abschließend zur Seite legen und zum nächsten weitergehen.
    Gelegentlich kamen ihm Zweifel. Nicht an sich selbst, sondern an der Macht der Rituale. Manchmal spürte er, daß es Dinge gab… die er nicht wirklich… aufgelöst hatte. Der Gedanke machte ihm Sorgen. Es war ein Gedanke, der jetzt beinahe jeden Tag an ihm nagte. Und er wußte warum. Es lag daran, daß seine Auflösungsrituale sich beinahe immer mit der gleichen Art von Ereignissen auseinandersetzten. Ihm war, als wäre er in einer Schleife gefangen und würde immer und immer wieder dieselben Begebenheiten analysieren. Allmählich dämmerte ihm der Grund, weswegen sich diese Episode sich jeden Tag aufs neue in immer und immer neuer Gestalt wiederholte. Es lag daran, daß ihm ein dunklerer, größerer Augenblick vollkommen entgangen war – und die Ereignisse, die ihn jetzt so beschäftigten, symbolisierten nur die Spitzen an der

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