Innere Werte
sich kurz vor dem Auffinden der Leiche aufgehalten hatten und ob ihnen in den letzten Tagen etwas Verdächtiges aufgefallen war. Während sie im Besprechungsraum zusammensaßen, rief Frau Galanis an und teilte Martin mit, dass sie inzwischen die von ihm angeforderte Karte des gesamten Kanalnetzes besorgt hatte.
»Ja, Leute«, sagte er anschließend. »Es sieht so aus, als ob für die meisten von uns das Wochenende ausfällt. Es gibt ein bisschen was zu tun. Ich hoffe, dass wir aus der Rechtsmedizin bald Genaueres wissen. Aber bis dahin lasst uns zusehen, dass wir unsererseits die Ermittlungen voranbringen. Ich will über jedes auffällige Detail informiert werden.«
Damit war die Besprechung beendet und alle machten sich an die Arbeit. Martin fuhr mit seinen Leuten zurück zum Klärwerk. Dieter übernahm dort die Durchsicht des elektronischen Betriebstagebuches, das alle Vorkommnisse und Arbeiten verzeichnete. Michael organisierte sich zwei Leute, die zusammen mit ihm den Zaun rund um das Klärwerk auf Beschädigungen überprüften, während Martin und Paul mit Hilfe von Frau Galanis das Kanalnetz studierten.
Davon ausgehend, dass die Leiche tatsächlich in einen Kanalschacht geworfen worden war, veranlasste der Kommissar, dass Kollegen von der Hundestaffel kamen, damit ihre Tiere versuchten, eine Spur an den Kanalschächten aufzunehmen. Zunächst beschränkten sie sich auf einen Radius von zweihundert Metern, in der Hoffnung, dass der Täter die Nähe zum Klärwerk gesucht hatte. Es war erstaunlich, wie viele Kanaldeckel sich allein in diesem Gebiet befanden. Es würde eine ganze Weile dauern, bis die Hunde ihren Rundgang beendet haben würden. Martin blickte zum wolkenverhangenen Himmel hinauf und hoffte, dass es vorerst nicht mehr regnen würde. Die Hunde, die im Leichenaufspüren ausgebildet waren, konnten zwar eine Leiche im Regen finden, aber eine eventuell vorhandene Spur an irgendeinem Kanalschacht, die jetzt durch den Regen weggespült würde, war auch für sie nicht mehr zu erschnüffeln. Er wusste, dass die Chance auf so einen Treffer gering war. Es war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, die es, wenn es zur Tatzeit noch geregnet hatte, womöglich gar nicht gab. Außerdem konnte der Täter die Leiche überall in den Kanal geworfen haben. Wahrscheinlich hatte er nicht mal eine Vorstellung davon, dass sein Opfer in der Kläranlage landete und zerstückelt wurde. Sollte er aber genau das beabsichtigt haben, musste er sich zwangsläufig mit der Technik und den Stationen der mechanischen Reinigung auskennen. Eine Vorstellung, die Martin erneut eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
4
»Sie müssen ihn suchen. Das ist einfach nicht normal.«
»Wir können nach ihrem Freund erst fahnden, wenn eine begründete Vermutung vorliegt, dass er in Gefahr sein könnte. Und wie Sie mir gesagt haben, ist das nicht der Fall. Außerdem scheint er ja im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte zu sein.«
»Aber irgendwas muss passiert sein, sonst wäre er nach Hause gekommen.«
»Frau Buhr, er ist doch erst seit einigen Stunden verschwunden. Und es steht jedem Erwachsenen zu, seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Er ist nicht verpflichtet, Freunde oder Familie darüber zu informieren. Und daher ist es auch nicht die Aufgabe der Polizei, in so einer Sache eine Aufenthaltsermittlung durchzuführen.«
»Die Sache«, Katrin lachte höhnisch, »wenn ich das schon höre. Es handelt sich hier um einen Menschen!«
»Das weiß ich doch.« Andreas Müller tat die Frau leid. Sie war so aufgebracht und er konnte im Grunde nicht viel für sie tun.
»Sie müssen doch etwas unternehmen können.« Katrin Buhr zuckte ungläubig mit den Schultern.
»Ich kann prüfen, ob sein Name im Zusammenhang mit einem Unfall auftaucht, aber das ist alles. Bei einer Vermisstenanzeige müssen einfach gewisse Kriterien erfüllt sein, um sie als solche aufnehmen zu können«, versuchte der Polizeibeamte seinen Standpunkt zu vertreten. »Wissen Sie eigentlich, dass wir täglich einhundertfünfzig bis zweihundertfünfzig Fahndungen neu erfassen oder löschen? Wir haben in unserer Datei über sechstausend vermisst gemeldete Personen gespeichert. Das nur mal, damit Sie eine Vorstellung von der Größenordnung bekommen, um die es hier für uns geht.«
»Das interessiert mich herzlich wenig. Für mich geht es um einen einzigen Menschen.«
»Und der wird sicher bald wieder auftauchen.« Zuversichtlich lächelte er Katrin an.
Weitere Kostenlose Bücher