Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Innere Werte

Innere Werte

Titel: Innere Werte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Hamann
Vom Netzwerk:
wieder reduzieren. Sechzehn Minuten! Dann kam der Gustav-Stresemann-Ring, wo er von einer roten Ampel ausgebremst wurde. Achtzehn Minuten! Jetzt ging es vierhundert Meter entlang des Kaiser-Friedrich-Rings in Richtung Rhein-Main-Hallen.
    »Links abbiegen in die Biebricher Allee«, kommandierte Dieter. »Jetzt wieder links in den Theodor-Heuss-Ring.«
    Einundzwanzig Minuten! Gleich wieder rechts. Noch siebenhundert Meter geradeaus und sie stießen direkt auf die Rudolf-Vogt-Straße.
    »Ziel erreicht nach zweiundzwanzig Minuten!«, verkündete Dieter und drückte die Stoppuhr. »Nicht schlecht, würde ich sagen.«
    »Ja, vor allem, weil das bedeutet, dass dieser Wagen, den Simon gesehen hat, ziemlich genau um drei Uhr zweiunddreißig aus dem Feldweg kam. Also muss das der Mörder gewesen sein.«
    »Um diese Feststellung zu untermauern, überprüfen wir am besten unsere Zeit nochmal.« Dieter grinste.
    »Schon unterwegs!« Michael wendete den Wagen und auf Dieters Kommando ging es in umgekehrter Reihenfolge wieder Richtung Vockenhausen. Für den Rückweg brauchten sie dreiundzwanzig Minuten, hatten aber auch zwei rote Ampeln im Weg.
    Michael fuhr Dieter nach Hause und zwar in vorgeschriebenem Tempo, was beiden Männern extrem langsam vorkam.
    »An dir ist wirklich ein Rennfahrer verloren gegangen«, sagte Dieter, als er ausstieg.
    »Hattest du Schiss?«
    »Die Kurven waren nicht ohne«, gab Dieter zu. »Aber du bist echt ein guter Fahrer. Kompliment!«
    »Die Firma dankt. Mach’s gut!«
    »Gute Nacht!«

21
     
    Udo Gleisinger stand auf der Rolltreppe und fuhr, wie jeden Samstag, der Herrenabteilung von »Peek und Cloppenburg« entgegen. Heute würde er sich eine Knallrote besorgen. Er fühlte sein Herz bis zum Hals schlagen, als er auf die Wand mit den Krawatten zuging. Nicht etwa, weil er Angst hatte, beim Klauen erwischt zu werden. Nein, es war vielmehr die Vorfreude auf das, was das neue Stück Stoff versprach. Langsam schlenderte er an den Krawatten mit den vielen unterschiedlichen Mustern und Farben entlang, befühlte die ein oder andere und griff sich dann eine rote mit dezenten schwarzen Streifen. Lächelnd betrachtete er das teure Stück, bevor er es sich über den Arm legte. Gewohnheitsgemäß nahm er sich noch zwei Pullover auf dem Weg zu den Umkleidekabinen mit, die er dort achtlos auf den Hocker warf und sich anschließend seiner eigenen Krawatte entledigte. Sorgfältig band er die Neue zu einem perfekten doppelten Windsorknoten und betrachtete sich im Spiegel. Zufrieden lächelte er. Rot stand ihm ausgesprochen gut. Immer wieder erstaunlich, was so ein Stoffstreifen aus einem machte. Sah er durch das edle Teil nicht aus wie ein Mann von Welt? Für ihn war es wie das Überstreifen einer zweiten Haut, die ihn den geschiedenen, heruntergekommenen Hartz-IV-Empfänger ohne Zukunft vergessen ließ.
    Er riss den Vorhang der Kabine zurück und blickte sich kurz um. Kein aufdringlicher Verkäufer, der ihm unbedingt helfen wollte, in Sicht. Betont langsam ging er den gleichen Weg, den er gekommen war, zurück. Die beiden Pullover legte er wieder ins Regal und hängte seine »alte« Krawatte, die er letzte Woche geklaut hatte, auf den entsprechenden Ständer. Schon lange machte er sich keine Gedanken mehr darüber, dass sein Vorgehen ganz und gar nicht in Ordnung war. Im Gegenteil, seiner Ansicht nach borgte er sich die Krawatten ja nur aus. Diebstahl konnte man das nicht nennen.
    Voller Tatendrang fuhr er die Rolltreppe wieder hinunter und trat unbehelligt auf die Straße. Eisige Kälte schlug ihm entgegen und er zog seinen Mantel enger um sich. Schnell schlängelte er sich durch die Menschenmassen, die den Markt auf dem Mainzer Domplatz bevölkerten. Er dachte über Anja Schulte nach und versuchte einzuschätzen, ob er sie davon überzeugen konnte, ihm einen Vorschuss zu geben. Ihn ergriff eine innere Unruhe. Was, wenn sie ihm nichts gab? Seine ganze Planung für den heutigen Abend wäre dahin. Daran wollte er gar nicht denken. Er musste unbedingt ins Casino. Sein Gefühl sagte ihm, dass heute sein Glückstag war. Er würde gewinnen und die Verluste der letzten Woche wieder ausgleichen. Bei dem Gedanken daran schlug sein Herz schneller. Er sah sich schon am Roulette-Tisch sitzen.
    Ein hupendes Auto riss ihn aus seinen Gedanken. Plötzlich fühlte er Ungeduld in sich aufsteigen. Er musste so schnell wie möglich zu ihr fahren, um Gewissheit zu haben. Er blickte auf seine Uhr und entschied sich, den nächsten Bus

Weitere Kostenlose Bücher