Ins dunkle Herz Afrikas
helllichten Tag. Es würde kein Problem geben.
Neils Pistole war schnell gefunden. Automatisch prüfte sie, ob die Waffe gesichert war. Sie lag kühl und Vertrauen erweckend in ihrer Hand. Schon in den Tagen ihres ersten Aufenthaltes in Südafrika hatte sie schießen lernen müssen. Anfänglich hatte sie sich gewehrt. Waffen und Krieg gehörten zu ihren elementarsten Ängsten. Unvorstellbar für sie, dass sie je eine Schusswaffe benutzen würde. Aber irgendwann damals akzeptierte sie, dass eine Waffe in diesem Land
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i täglichen Leben gehörte wie ein solides Türschloss und Gitter vor den Fenstern. Die Schreckensvision jedoch, sie könnte die Waffe auf einen Menschen richten mit der Möglichkeit, ihn damit zu verletzen oder gar zu töten, ließ sie gar nicht erst zu. Und doch war es geschehen. In einer Nacht, wie in einem bösen Traum, war Maxwell, ihr damaliger Gärtner, gekommen, um erst sie und dann Sarah und ihre kleine Imbali zu töten. Das hatte er ihr geschworen, als sie ihn nach seinem Streit mit Sarah entlassen hatte. Als sich sein Arm mit dem langen, blinkenden Messer hob, um es auf sie niederfahren zu lassen, hatte sie automatisch reagiert. Der Impuls, der ihren Finger am Abzug krümmte, war geradewegs von der Wahrnehmung auf die Muskeln, die diesen Finger kontrollierten, übertragen worden, ohne Umweg über ihre inneren, moralisch bedingten Gefühlsbarrieren. Sie hatte geschossen und getroffen. Bis heute war sie ihrem Schicksal dankbar, dass sie Maxwell nur verletzt hatte, dass sie die grauenvollen Bilder, die ihr in den Sekunden nach dem Schuss durch den Kopf rasten, als sie glaubte, ihn getötet zu haben, nicht mit in ihre Träume nehmen musste, aber der Vorfall hatte ihr gezeigt, dass sie die Waffe im Notfall benutzen würde. Sie steckte die Pistole in ihre Umhängetasche und kletterte zu Susi und Isabella auf die bequemen, gepolsterten Sitze des Rovers. »Sammy hatte einen Unfall, und Mrs. Robertson ist zu ihr gefahren, wir müssen alleine los. Jeremy, fahr bitte los, und schalte die Klimaanlage ein.«
»Die ist kaputt, Madam.« Jeremy öffnete sein Fenster und startete den Motor.
»Na, klasse«, giftete Isabella halblaut, »allein im Busch mit zwei Sauerkrauts, die ein Nashorn nicht von einem Panzer unterscheiden können, und einem Muntu, der ein halbes Schlitzauge ist, und als Sahnehäubchen obendrauf werden wir gebraten.« Sie ließ ihr Fenster herunter, und mit einem scheelen Blick auf ihre neu entdeckte Tante vergrub sie ihre Nase im Buch. »Was ist ein Muntu?«, fragte Susi neugierig.
»Es ist ein Zuluwort, heißt eigentlich >Mann<, wird aber als Schimpf-263
wort für die Schwarzen gebraucht«, antwortete Henrietta leise auf Deutsch und betätigte den Fensterheber auf ihrer Seite. Das Fenster glitt herunter. Susis langer Baumwollrock schlug im Fahrtwind hoch, entblößte ihre blassen Beine in hellen Sandalen. »Sag mal, hast du nichts anderes als Sandalen und einen Rock?« fuhr sie ihre Cousine unfreundlich an. »Und den auch noch in Weiß! Wir gehen nicht auf eine Party, sondern in den Busch!«
»Macht nichts, den kann man waschen, und die Sandalen sind doch schick, nicht?«, zwitscherte Susi fröhlich.
Sie hätte sie schütteln können. »Busch wie Urwald, verstehst du? Krabbeltiere und Schlangen!«
Das erregte endlich Susis Aufmerksamkeit. »Schlangen? Giftige?«, fragte sie verunsichert.
»Massenhaft, alles, was Rang und Namen hat«, antwortete sie unbarmherzig. Vor neunundzwanzig Jahren hatte Onkel Hans sie mit den gleichen Worten zu Tode erschreckt, auch hier waren deutliche Worte nötig. Susi zuckte zusammen, warf nervöse Blicke um sich wie ein gejagtes Tier, nestelte fahrig an den Spaghettiträgern ihres gelben Oberteils. Sie hatte Mitleid mit ihr, brachte es aber nicht fertig, ihre scharfe Äußerung abzumildern. Grübelnd verfolgte sie den Landeanflug einiger Pelikane auf das flache Wasser der fächerförmigen Mündung des Tugelas. Sie konnte sich ihre Gereiztheit selbst nicht erklären.
Susis Auftauchen, die ungewollte Verantwortung, die sie für ihre sehr entfernte Cousine verspürte, trug sicherlich dazu bei, sowie auch die Sorge um Sammy und ihr Baby. Der Wortwechsel mit lan? Natürlich. Ganz besonders der.
Ganz besonders, weil sie genau wusste, dass sie überzogen reagiert hatte.
Aber da war noch etwas. Ganz tief, in den untersten Schichten ihres Bewusstseins, bohrte die Angst, dass ihr auf dieser Fahrt nach Zululand Unheil drohte. Unheil von Menschen, die sie
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