Ins dunkle Herz Afrikas
Staub. Schmerzblitze zuckten hinter ihren Augen. Völlig durcheinander, momentan halb betäubt, bemerkte sie die Hand, die den Revolver hielt. Sie hatte nur drei Finger.
Etwas regte sich in ihrem Gedächtnis. Eine hochgereckte schwarze Hand, der zwei Finger fehlten? Wo hatte sie diese Hand schon einmal gesehen? Aber ihre Gedanken schwammen davon, sobald sie versuchte, ihrer habhaft zu werden. Sie gab auf.
Sie blickte hinauf zum Auto. Jeremy hatte sich noch nicht gerührt, saß da, die Hände auf dem Steuerrad, Augen stur geradeaus gerichtet, er hatte sich noch nicht einmal zu ihnen umgedreht. Einer der Männer - er trug, wie die anderen auch, sein Hemd offen über einem T-Shirt und langen Hosen - kippte ihre Umhängetasche um, fand Neils Pistole und steckte sie mit einem Zungenschnalzen ein. Verdammt, dachte sie und runzelte die Stirn, stöhnte leise, als ein heißer Schmerz durch ihren Kopf schoss. Zwei Arme griffen unter ihre, und sie fühlte sich auf die Beine gestellt. Zwei der Vermummten nahmen sie in die Mitte und stießen sie über die Straße in den Busch. Die Sonne knallte brutal aus einem weiß glühenden Himmel, trocknete aus, verbrannte, drückte alles Leben unter einer Hitzedecke nieder.
Sie hörte Susi aufschreien, ein Schimpfwort von Isabella, dem ein Klatschen folgte, und dann nur noch das Geräusch ihrer stolpernden Schritte. Minuten später wurde der Landrover gestartet, der Motor jaulte, die Räder drehten auf der harten Erde durch, dann entfernte sich das Motorengeräusch, bis es sich hinter den Hügeln verlor. War es Jeremy, der wegfuhr? Sie konnte ihn nicht entdecken. Wieso
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wurde ihm erlaubt wegzufahren? Gehörte er zu der Bande? Sie stolperte, knickte um, und der Schmerz löschte die Frage aus. Wie lange sie unter der erbarmungslosen Sonne abwechselnd durch Busch und hartes, hohes Gras gelaufen waren, wusste sie bald nicht mehr. Verzögerter Schock, Hitze und rasende Kopfschmerzen vermischten sich hinter ihren Augen zu einem grellen Kaleidoskop. Der Bluterguss hing wie eine überreife Frucht über ihrem Auge.
Besorgt merkte sie, dass sie allmählich auf dem Auge alles nur noch durch milchigen Nebel wahrnahm. Dornen zerrissen lans Hemd auf ihren Schultern, kratzten Blutspuren in ihre Haut, Insekten fielen über sie her. Sie kämpfte bald nur noch darum, auf den Beinen zu bleiben und nicht umzufallen.
Von Susi war nur leises Wimmern zu hören. »Oh, Scheißescheißescheißescheiße«, verstand sie. Isabella dagegen gab in farbigstem Gossenenglisch eine Litanei von saftigen Flüchen von sich, gewürzt mit den feinsten Ausdrücken, die die deutsche Sprache zu bieten hatte. Als ihr die ausgingen, wechselte sie in Afrikaans. Henrietta begann, Respekt vor Isabella zu entwickeln. Anfänglich beeindruckte sie die Fantasieleistung und dann, Schritt für Schritt, begriff sie, dass Tita Unrecht hatte. Isabella war von anderem Kaliber, als sie angenommen hatte. Ein kleines Biest vielleicht, aber ein zähes. Schließlich war sie auf einer afrikanischen Farm geboren und aufgewachsen, sie musste mit dem Busch und alles, was in ihm lebte, vertraut sein, und sie registrierte, dass sie sich besser fühlte, nicht mehr völlig auf sich allein gestellt zu sein.
Der Busch wurde dichter, das Gelände stieg an. Sengende Hitze prallte in Wellen von den Felsen und der steinharten Erde ab, knisterte in den Akazien, Trugbilder tanzten in der blendenden Helligkeit, täuschten Wasserflächen vor, wo keine waren. Der heiße Wind trocknete ihre Haut aus, dörrte ihre Schleimhäute, bis ihre Zunge am Gaumen klebte. Sie gingen im Gänsemarsch, der mit der dreifingri-gen Hand führte sie an, ihm folgte Henrietta, ihr einer der Maskierten, diesem Isabella. Die beiden anderen hatten Susi rechts und links gepackt. Sie hing als jämmerliches Bündel, ununterbrochen vor sich 270
hin greinend, zwischen ihnen. Außer diesem Gejammer und dem Schrillen der Zikaden hörte man nur das Schurren ihrer Schritte auf dem harten, steinigen Boden.
Dem Sonnenstand nach musste es früher Nachmittag sein, als sich endlich das Tempo ihrer Entführer verlangsamte. Sie roch das Wasser, bevor sie es sah. Das Gelände vor ihnen fiel sanft ab, dichtes, saftiggrünes Buschwerk und Lianenvorhänge versperrten ihnen die Sicht, aber sie roch die warme Feuchtigkeit des nahen Wassers, die sich wie Balsam auf ihre ausgetrockneten Schleimhäute legte. Als sie einen schmalen Schilfgürtel durchquert hatten -
die Halme standen höher als ein
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