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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
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sicher, welche ich meine.« Sie zog Bilder aus der Tasche, deren Betrachtung Henrietta alle Selbstbeherrschung kostete.
    Es waren die Tibouchinas, die ihr Tita zum Einzug geschenkt hatte, die rechts und links vom Eingang standen. Durch ihren üppigen Blütenflor schimmerte silbergrau das Schieferdach ihres Hauses. Eine zusammengerollte Katze döste im sonnengefleckten Schatten, den die Zweige in der tief stehenden Nachmittagssonne warfen. Es war die Stunde, zu der die Ibisse zu ihren Nistplätzen auf den Bäumen an der Uferzone der Flüsse heimkehrten, die Mainas sich langsam zu ihrem Abendschwätzchen auf den Bäumen versammelten, die Mungos aus ihrem Hitzedämmerschlaf erwachten und auf der kleinen Lichtung unter den Korallenbäumen ihre Kapriolen schlugen.
    »Schön«, sagte sie, ihre Stimme sorgfältig kontrollierend, und reichte Ingrid die Bilder zurück, nichts weiter als höfliches Interesse zeigend, »aber das ist ja nun vorbei.«
    Fernsehen mied sie weitgehend, besonders die unzähligen Dokumentarfilme über glückliche Löwen und schnaubende Flusspferde und diese, in leuchtendes Licht getauchten, endlosen afrikanischen Landschaften, über die sich ein Himmel wölbte, der einem das Gefühl gab, bis in die Ewigkeit sehen zu können. Die mied sie besonders. Zeitweilig mied sie auch die Nachrichten. Der Anblick der überglücklich in den Straßen tanzenden Südafrikaner, Schwarze und Weiße Arm in Arm, die herzergreifende Melodie von Nkosi Sikelel' iAfrica, die nicht mehr sehnsuchtsvoll klang, sondern triumphierend aus Hunderttausenden Kehlen in den zartblauen afrikanischen Winterhimmel stieg - das konnte sie nicht verkraften.
    Auch die Berichte über die prominenten Exilsüdafrikaner wie Mi-425
    riam Makeba, die in Begleitung der internationalen Presse nach langen Jahren zu ihren Wurzeln zurückkehrten, ertrug sie nicht. Zu sehen, wenn sie ihren Fuß auf die Erde ihres Landes setzten, neue Kraft durch sie hindurchzuströmen schien, sie aufrichtete, deutlich machte, dass jetzt ihr Leben von neuem beginnen würde, war zu viel für sie.
    Das würde Zeit benötigen. Viel Zeit. Mindestens bis ans Ende ihres Lebens.
    Einmal im Monat sprach sie am Telefon mit Tita, die zwischen Zweckoptimismus und Niedergeschlagenheit schwankte. »Ich war in Johannesburg«, berichtete sie eines Montags im September, »Neu und ich waren am Wochenende in Johannesburg und haben in einer Disco in Soweto mit seinen schwarzen Freunden gefeiert. Wir sind zusammen durch die Shebeens, die illegalen Bierspelunken, gezogen, und es ist nichts passiert, wir haben zusammen Nkosi Sikelel' iAfrica gesungen und waren alle eine große, glückliche Familie. Heute Morgen ist der Besitzer der Apotheke in Umhlanga - du erinnerst dich doch an ihn? -, der alte John Miller, an der Hauptkreuzung im Ort von zwei Schwarzen, nachdem sie das Seitenfenster mit einer Eisenstange eingeschlagen hatten, aus dem Auto gezerrt worden. Als sie davonfuhren, lehnten sie sich aus dem Fenster und schössen ihm zwischen die Beine. Er ist verblutet, bevor der Krankenwagen eintraf. Sein Auto hat man kurz darauf als Wrack im Straßengraben am North Coast Highway gefunden. Sie haben es nur für eine Spritztour geklaut.« Tita verstummte.
    Sie sah die Kreuzung in Umhlanga vor sich, gesäumt von üppigen Blumenrabatten und Blütenbüschen, Gruppen schwatzender Menschen im Schatten der Indischen Mandelbäume auf dem großen Rasenplatz und ein paar Meter weiter, in der kleinen, geschäftigen Ladenstraße, Mr. Millers Apotheke. »Oh, Tita ...«, war alles, was sie sagen konnte.
    »Irgendwie werden wir's schon schaffen - wir müssen! Ich will nicht woanders leben müssen«, antwortete Tita, »aber es gibt noch einen 426
    Grund für meinen Anruf. Isabella war bei mir und hat das G«Ui för den Sangoma abgeholt!«
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    »Oh!«, rief sie. »Geht es ihr gut? Wo kam sie her? Was ist damals passiert?
    Ist sie noch mit Lukas zusammen?«
    Tita lachte. »Ja, es geht ihr offensichtlich gut; wenn mich nicht alles täuscht, ist sie schwanger. Sie hat mir weder erzählt, woher sie kam, noch, was damals passiert ist, aber sie lässt dich grüßen und dir ausrichten, dass sie Nanna wieder gefunden hat. Du wüsstest dann schon Bescheid.«
    Henrietta lächelte. »Nanna war ihre Nanny, sie hat sie mehr geliebt als ihre Mutter - du hast Recht, es geht ihr offensichtlich gut. Ich freue mich sehr für sie.«
    427
    Januar 1991, Hamburg
    An jenem eiskalten 16. Januar 1991,

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