Ins dunkle Herz Afrikas
zerfallen.
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Eines Tages erschienen smart gekleidete, zackig auftretende Immobilienmakler und führten Scharen von Kaufinteressenten durch die Wildnis, und eines Sonntags, Ende November, klingelte es an ihrer Tür, und ein junges Paar stand davor.
»Grüß Gottle«, sagte die junge Frau in dem langen wollenen Mantel, »mer wolle uns vorstelle, mer san die neue Nachbarn.« Strahlend blinzelte sie durch eine starke Brille.
Bald rumpelten Bagger auf das Grundstück, Scharen von Handwerkern stürzten sich auf das Haus, ein Gerüst wuchs an den Außenmauern empor. Jeden Morgen wurde Henrietta nun vom Hämmern, Sägen und Bohren geweckt. Eines Morgens, als die Meisen und Finken den Frühling ankündigten, blieb alles ruhig.
Sie stand auf und öffnete das Fenster. Es war empfindlich kalt und roch nach Schnee. Hinter den kahlen Obstbäumen schob sich die weiße Sonne in den milchigen Himmel, glitzerte auf den hauchzarten Nebelschleiern, die auf dem nassen Gras lagen. Henrietta lief in ihren Garten. Familie Härtl hatte die Fichtenstumpen roden lassen, Rasen gesät und Blumenrabatten angelegt.
Ungehindert fielen die Sonnenstrahlen jetzt auch ln die letzten Ecken ihres Gartens, kitzelten die ersten gelben Krokusse, lockten bereits die prallen roten Blattknospen der Bauernrosen heraus.
Sie kniete davor und freute sich auf den Frühling und den Sommer, hob eine Hand voll Erde hoch und zerbröselte sie in den Fingern, spürte, wie sich etwas in ihr regte. Sie zog ihre Schuhe aus und stellte ihre nackten Füße fest auf die angewärmte Oberfläche, bewegte ihre Zehen, fühlte, wie locker der Boden war - so locker, dachte sie, dass auch meine Wurzeln sie durchdringen könnten.
Sie blinzelte in die Sonne und meinte plötzlich, weiter sehen zu können als nur bis zum Sommer.
Südafrika erschien mittlerweile häufig in den Nachrichten. Es wandelte sich vom Stinktier der Welt zum Liebling aller. Die Südafrikaner verzauberten mit ihrer überschäumenden Lebensfreude, dem
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Optimismus, mit denen sie die unüberwindlich erscheinenden Schwierigkeiten angingen, jeden, der damit in Berührung kam. Die Touristen entdeckten das Land neu, und bald ergoss sich ein steter Strom Abenteuerlustiger dorthin.
Kamerateams reisten hinunter, drehten unzählige Reiseberichte, die meist auf den Weingütern der Kapregion begannen, wildromantische Bilder von luxuriösen, privaten Wildreservaten zeigten und in den multikulturellen Schickimi-cki-Discos Kapstadts endeten. All das unterlegt mit den ins Blut gehenden Gesängen schwarzer südafrikanischer Sänger. Sogar die nüchternen TV-Politmagazine wurden von dieser Musik untermalt, so dass Monika Kaiser nach ihrem ersten Besuch in Kapstadt etwas enttäuscht berichtete, dass man diese Musik gar nicht an jeder Straßenecke höre, wie sie geglaubt hatte, sondern dass der Alltag die gleichen Geräusche habe wie in Europa.
Überall wurden Förderungsprojekte für südafrikanische Musik und südafrikanische Kunst ins Leben gerufen, Spielfilme und Fernsehserien wurden wieder dort gedreht. Die Afrikaromantik war ein Riesenrad, das langsam Schwung bekam.
Fast alle Freunde der Cargills flogen dorthin, fuhren mit dem Luxuszug Blue Train von Johannesburg nach Kapstadt oder, nachdem sie sich durch die Weinkeller am Kap durchprobiert hatten, gemächlich in einem Mietauto von Kapstadt die Gartenroute hoch, besuchten Hluhluwe und Umfolozi oder eins der vielen anderen Wildreservate. Einige übernachteten in Umhlanga Rocks.
Zurückgekehrt, veranstalteten sie Filmabende, und Henrietta und lan waren immer unter den Gästen.
Monika begann von ihrem Kapstadt zu reden, wie sie vorher von ihrem Mallorca sprach und überlegte, ihr kleines Apartment auf Mallorca zu verkaufen, um sich in Kapstadt ein Ferienhaus zuzulegen. »Du kriegst einen Palast für das Geld in dem Land, mit Swimmingpool und Hausmädchen«, schwärmte sie und breitete Fotos von wunderschönen weißen Villen in grünen Gärten und mit Blick auf den Atlantischen Ozean vor ihr aus. Henriettas Brauen schössen in die Höhe bei dieser Bemerkung, aber
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sie kommentierte sie nicht. Sie wünschte, Monika würde ihre Fotos einpacken und lieber über Mallorca reden. Das konnte sie ertragen. Ingrid und Heiner Möllingdorf brachten als Überraschung für sie Fotos mit, die sie von der Straße aus von ihrem Garten in Natal gemacht hatten. »Ein paar Bäume blühten«, erzählte Ingrid, »einer leuchtend blau, der andere rosa. Am Eingang vorn, du weißt
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