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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Gercke
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das Haus zuging, die Tür vorsichtig aufschob und eintrat.
    »Zurück ins Auto«, befahl sie den Kindern leise, setzte sich ans Steuer und ließ den Motor an, öffnete die Beifahrertür als Fluchtweg für lan - ganz kühl.
    Wie eine Gangsterbraut, dachte sie und fühlte paradoxerweise eine gewisse Art Stolz. Das hatte sie damals gelernt, in diesen letzten schwarzen Tagen in Umhlanga, und war den Häschern von BOSS immer einen Schritt voraus. Doch ihre Hände führten ein verräterisches Eigenleben. Die Knöchel glänzten weiß, so stark umklammerte sie das Steuerrad, als könne sie so nicht nur ihr Zittern, sondern auch die Bilder unterdrücken, die sie überfielen. Und die Angst, die den Rahmen zu diesen Bildern bildete und die ein Teil von ihr geworden war.
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    Lautes Lachen unterbrach das Karussell ihrer Gedanken, lans Lachen. »Kommt!«, rief er und breitete seine Arme aus. »Tee, Madam?« Übermut bebte in der rauen Stimme hinter ihr. Sie wirbelte herum, und da stand Sarah, fein gemacht in einem dunkelblauen Kleid mit weißen Knöpfen und weißen Schuhen, ein Tablett mit Teegeschirr und dampfender Kanne in der rechten Hand balancierend. Ihre dunklen Augen sprühten. »Henrietta, udade-wethu - meine Schwester, willkommen, die amadlozi haben dich zu mir geführt - ich preise sie, die meine Ahnen sind!« Sie trillerte durchdringend. »Henrietta - udadewethu ist wieder bei mir, yebo, sie ist zurückgekommen«, sang sie und schleuderte ihre Schuhe weit von sich. Ihr ausladendes Hinterteil herausgestreckt, die Füße nackt, ihren Rock zierlich angehoben, vollführte sie einen Freudentanz. Ihr üppiger Körper schaukelte im Takt, die Teekanne schwankte bedrohlich.
    Henrietta rettete geistesgegenwärtig das Tablett, stellte es auf den Küchentisch.
    »Halleluja!«, schrie Sarah, »lass die Seele meines Volkes in dich fahren!« Sie hob die Augen himmelwärts. »Gepriesen sei der Herr, gepriesen sei Jesus! Und die Jungfrau«, setzte sie fromm hinzu. Sie vernahm es und lachte auf. Sarah bediente sich schon immer stets nach Bedarf bei allen Religionen, mit denen sie in Berührung gekommen war, argumentierte mit Gott und seinem Sohn und der Jungfrau Maria und ihren Vorfahren, und wenn ihr Problem sehr groß war, mit allen gleichzeitig.
    Im November 1960 war Sarah in ihr Leben gewirbelt. Sarah, die Zulu, so jung wie sie, aber so alt wie das Wissen ihres Volkes. Mit ihren Geschichten öffnete sie eine Tür, nur einen Spalt breit, und erlaubte der jungen Deutschen einen Blick auf ihre Welt, die so bunt schillernd war wie das Gefieder des Nektarvogels, der im Zitronenbaum nistete.
    Acht Jahre führte Sarah ihren Haushalt, arbeitete anfänglich noch an der Modekollektion mit. Als sie herausfanden, was sie einander be-54
    deuteten, sie und ihre schwarze Schwester, war es zu spät. Es blieben ihnen nur fünf Tage, im März 1968, um alles nachzuholen, was sie in den Jahren vorher versäumt hatten. Dann musste sie mit ihrer Familie das Land verlassen.
    Erst eine Woche nach ihrer Flucht entdeckte Tita, dass die Schergen von BOSS
    Sarah drei Tage später abgeholt und ins Gefängnis gesteckt hatten, weil sie sich weigerte, lans Fluchtweg zu verraten. Außerdem war sie die Schwester von Mary Mkize, die Schwägerin von Cuba Mkize, die Frau von Vilikazi Duma und Vertraute der Cargills. Das genügte, um sie hinter Gittern verschwinden zu lassen und ohne Anklage unbegrenzt festzu halten. Titas Anwalt gelang es erst nach einem Jahr, sie herauszuholen. »Sie hat Tuberkulose, und ihre linke Hand ist schwer verletzt«, sagte Tita am Telefon, »sie sieht jämmerlich aus.
    Arbeiten kann sie jedenfalls nicht.«
    Henrietta sorgte dafür, dass sie von einem guten Arzt behandelt wurde, und hatte ihr seitdem einen monatlichen Betrag geschickt. Es dauerte lange, aber Sarah wurde wieder gesund, und sie richtete sich in Kwa Mashu einen kleinen Laden ein. Sie schrieb ihr lange, blumige Schilderungen ihres Alltags, der aufregend und farbig klang, und doch nur einen ganz gewöhnlichen, mühevollen Tag zwischen den tristen Schuhkastenhäusern in der Schwarzensiedlung Kwa Mashu beschrieb.
    »Oh, Sarah«, rief sie, zog ihre Schuhe aus und setzte zaghaft ihre Füße in Sarahs Rhythmus voreinander. Anfänglich waren ihre Bewegungen steif, eckig, wurden dann runder, schneller. lan stand daneben, stampfte mit den Füssen den Rhythmus, klatschte im Gegentakt in die Hände. Henrietta warf die Arme hoch.
    »Yebo!«, schrie sie und trillerte, dass sich die Kinder die

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