Ins dunkle Herz Afrikas
meine, war es Fußvolk oder waren es höhere Chargen?«
»Fußvolk gibt es nicht bei BOSS. Fußvolk sind da Leutnants. So wie sich der benommen hat, der mich gegrüßt hat, war er mindestens Oberst. Ein gut aussehender Mann übrigens. Groß, blond, gut geschnittenes Gesicht - weißt du, Siegfried der Recke.« »Bestimmt hat er auf Mann dressierte Schäferhunde zu Hause«, murmelte sie zynisch.
lan füllte ihr Weinglas auf. »Aber das war noch nicht alles. Noch etwas war sehr seltsam. Im Nachhinein fiel mir auf, dass Vilikazi und seine Männer, als die Agenten die Fabrik durchsuchten, nirgendwo zu sehen waren. Sie waren verschwunden und sind bis Arbeitsschluss auch nicht wieder aufgetaucht.«
»Merkwürdig - war das alles, Siegfried hat dich gegrüßt, und das warvs, kein weiteres Wort?« »Nichts.«
Und dabei blieb es. lan hörte nie wieder von der Sache mit den Propagandablättern, und Vilikazi und seine Leute blieben verschwunden.
Bis heute Abend, wo Vilikazi plötzlich in der Tür stand. »Sakubona, Henrietta«, grüßte er sie mit dem Dreiergriff. »lan, usaphila na -geht es dir noch gut?« Seine Haut glänzte ölig, die Narbe, die wie ein breiter rosa Mund unter seinem Kinn von Ohr zu Ohr verlief, ein Andenken an eine gefährliche Nacht in Kwa Mashu, bewegte sich mit seinem Adamsapfel teuflisch grinsend auf und ab. Sein schwarzes T-Shirt, Aufschrift »Ich bin schwarz, nicht dreckig«, hing über die Hose, die Hände hatte er in die Hosentaschen gebohrt, dass die Mus-154
auf seinen Oberarmen hervortraten. »Imbali ist in Soweto erhaftet worden, wir wissen nicht, wo sie ist. Sarah ist verrückt vor Angst.«
Ihre Kopfhaut zog sich zusammen. Imbali, dieses bildhübsche, zarte junge Mädchen, eine hoch begabte Sängerin, im Gefängnis. In einem südafrikanischen Gefängnis! Sie war so etwas wie ihr Patenkind und hatte die ersten Jahre ihres Lebens im Donga-Haus verbracht. »Wie ist das passiert?« lan reichte Vilikazi ein Bier. Damit verstieß er mal wieder gegen eins dieser unsinnigen südafrikanischen Gesetze. Man durfte einem Farbigen keinen Alkohol servieren, nicht einmal im eigenen Haus.
»Sie hat in Soweto mit Steinen geworfen«, Vilikazi grinste böse, »und getroffen!« Er kippte sein Bier hinunter und setzte das Glas auf dem Couchtisch ab. »lan, ich brauche deine Hilfe«, sagte er und sah ihm in die Augen, und Henrietta wusste, dass er gekommen war, eine Schuld einzufordern, denn Vilikazi, langjähriges Mitglied des ANC, hatte lans Flucht im März 1968
organisiert. Dafür standen sie in seiner Schuld, mit allem, was sie besaßen.
lan nickte. Er hatte es also auch verstanden. »Ich kümmere mich darum. Wo kann ich dich erreichen?«
Vilikazi wippte auf den Fußballen, überlegte. »Ich ruf dich an, jeden Abend zwischen sieben und acht.« Er glitt zur Tür. »Willst du nicht mit uns essen?«, rief sie, aber er schüttelte den Kopf, weiße Zähne glänzten, dann verschluckte ihn die Nacht. »Frag Neil«, schlug sie vor. Neu, äußerlich farblos und unscheinbar wie ein Sandkorn am Strand, der aber funkelte und strahlte, sobald er über die Liebe zu seinem Land redete, der überall Kontakte hatte, selbst bei der Sicherheitspolizei.
lan nickte und hob den Telefonhörer hoch, legte ihn aber wieder hin- »Man kann nicht wissen, wer alles mithört. Komm, wir fahren hin.«
Eine halbe Stunde später öffnete ihnen Gladys, Titas Hausmädchen, eine schwergewichtige Zulu, und führte sie ins Wohnzimmer. Tita und Neil saßen vor dem Fernsehschirm, denn seit dem 5. Januar 1976
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war das Fernsehen auch nach Südfrika gekommen. Neil sprang bei ihrem Eintritt auf. »Hallo, schön, euch zu sehen. Kommt rein! Was wollt ihr trinken?«
lan nahm ihn beiseite und redete für Minuten auf ihn ein. Neil nickte ein paar Mal, und dann verbrachten sie gemeinsam einen netten Abend vor dem Fernseher.
Es dauerte über eine Woche, ehe sie herausgefunden hatten, wo Im-bali inhaftiert war. Sie beauftragen ihren Anwalt, sie herauszuholen, egal wie, und damit stachen sie mitten ins Wespennest. »Unsere süße Imbali mit den riesigen, unschuldigen Augen gehört zu den Anführern in Soweto«, berichtete lan, »und sie hat nicht nur mit Steinen, sondern auch mit Molotowcocktails geworfen.
Einer davon hat einen Polizeipanzer in Brand gesteckt und die Insassen geröstet.«
Vor Henriettas innerem Auge baumelte eine Henkersschlinge. »Oh, verdammt!«, sagte sie, »verdammt, verdammt, verdammt!« »Absolut keine Chance, sie
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