Ins Leben zurückgerufen
In einer Stunde wird geöffnet.«
»Vielleicht.« Stubbs musterte sein Spiegelbild im Glas eines Chagalldrucks. »Gütiger Gott, das harte Wasser hier oben versaut einem das ganze Haar.«
Er hatte etwas auf dem Herzen. Früher oder später würde er den Mund aufmachen.
Pascoe sagte: »Wollen Sie den Namen meines Friseurs?«
Stubbs ließ den Blick zu Pascoes Kopf gleiten, senkte ihn dann zu dessen Konfektionsanzug und sagte: »Wissen Sie, wie alt Sie sind? Genauso alt wie ich, nur 14 Tage Unterschied. Ich habe mir Ihre Daten angesehen.«
»Und?«
»Und gar nichts. Älter auszusehen ist vielleicht die Methode, hier oben klarzukommen.«
»Man muß unauffällig sein«, sagte Pascoe milde.
»Wie Ihr Chef? Der trägt zwar einen Anzug, ist aber so unauffällig wie ein Frauenschänder im Nonnenkloster.«
Damit er mit dem herausrückte, was er eigentlich sagen wollte, mußte Pascoe ihn provozieren.
»Wie kommt’s, daß Sie Ihre Nase in meine Daten stecken? Die sind vertraulich.«
»Nicht mehr, nachdem Sie Ihre Nase in unsere Angelegenheiten gesteckt haben.«
»Langsam«, sagte Pascoe. »Zugegeben, ich bin ein bißchen aus der Reihe getanzt, aber Mr. Hiller und ich haben das Problem gelöst.«
»Sie vielleicht«, sagte Stubbs. »Hören Sie. Ich kann Leute nicht ausstehen, die einen fahren lassen und dann das Weite suchen. Sie sollten sich ein paar Dinge über Geoff Hiller zu Gemüte führen. Das erste ist, daß er absolut ehrlich ist. Er gewinnt vielleicht nicht unbedingt einen Preis, wenn es um Charme geht, obwohl er da wohl immer noch vor Ihrem Mr. Dalziel rangieren würde. Aber er ist keine Marionette. Er wurde für diese Aufgabe ausgewählt, weil jeder, der ihn kennt, weiß, daß er polizeiliche Inkompetenz nicht bemänteln würde.«
»Und wenn er entdecken würde, daß mehr als polizeiliche Inkompetenz bemäntelt wird?«
»Auch dann würde er nicht den Rückzug antreten. Genau darum geht es nämlich. Sie und Ihr Chef sind hinter Geoffs Rücken herumgeschlichen. Doch jetzt, wo sich etwas wirklich Übles abzuzeichnen beginnt, wo sind Sie? Sicher in Ihren Boxen, während Geoff im Regen steht und die Flak abkriegt.«
»Flak, von wem?«
»Weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß es so kommen wird. Er ist seinen Truppen gegenüber loyal. Wenn die schweren Geschütze aufgefahren werden, bringt er uns in Sicherheit. Sie haben da was losgetreten, Sie und das dicke Ekelpaket, und ich wollte nur sichergehen, daß Sie erfahren, was Sie getan haben.«
»Nun aber langsam!« sagte Pascoe, diesmal echt provoziert. Aber Stubbs war nicht in der Stimmung, um langsam zu machen. Die Tür flog mit einem Knall hinter ihm zu.
»Scheiße«, sagte Pascoe. Er versuchte sich einzureden, daß Hiller sowieso in die Klemme geraten wäre, in der er jetzt zu stecken schien, außer, wenn es ihm nicht gelungen wäre, das auszugraben, was Dalziel ausgegraben hatte, was wiederum bedeutet hätte, daß es gut gewesen war, daß der Dicke sich eingemischt hatte. Und dennoch hatte er Schuldgefühle.
Schließlich griff er zum Hörer und wählte.
»Hallo? Ich möchte bitte mit Lord Partridge sprechen. Sagen Sie ihm, es sei Chief Inspector Pascoe von der Kriminalpolizei.«
Eine lange Pause. Er stellte sich Seine Lordschaft vor, wie er mit sich debattierte, bei welcher Reaktion mehr für ihn herausspringen würde, bei edler Verachtung oder
noblesse oblige
.
»Partridge am Apparat. Wie nett, von Ihnen zu hören, Mr. Pascoe. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sie haben von Miss Marsh gehört?«
»In der Tat. Schrecklich traurig. Doch Zeit und Gezeiten warten auf niemanden, noch nicht einmal auf schottische Kindermädchen.«
»Aber sie üben einen beträchtlichen Einfluß auf andere Naturereignisse aus. Empfängnis, beispielsweise. Der Bericht des Pathologen besagt, daß Miss Marsh eindeutig kein Kind hatte. Noch nicht einmal eine Abtreibung. Nie schwanger war.«
Die nun folgende Pause schien nie enden zu wollen.
»Was veranlaßt Sie zu der Vermutung, daß ich an dieser ziemlich abwegigen Information interessiert sein könnte, Mr. Pascoe?« fragte Partridge zu guter Letzt mit gleichmäßiger Stimme.
»Ich erinnere mich, wie Sie davon sprachen, daß Ihnen Recht und Ordnung am Herzen liegen«, sagte Pascoe. »Ich vermute, daß Miss Marsh in ihrem Streben nach höchstmöglicher Echtheit und größtmöglichem Profit Ihnen eine Rechnung vorgelegt hat. Von einer Abtreibungsklinik, ja? Oder ist sie aufs Ganze gegangen und hat behauptet, das Kind zur
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