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Ins Leben zurückgerufen

Ins Leben zurückgerufen

Titel: Ins Leben zurückgerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sein.«

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    Vierter Teil
    Goldener Hain
    Eins
    »Ich habe bisweilen in den Abendstunden allein hier gesessen und habe gelauscht, bis es mir vorkam, die Echos, die ich vernähme, seien der Widerhall all der Fußtritte, welche bestimmt sind, uns in unserem Leben zu begegnen.«
    D ie durchs Fenster fallende Morgensonne wärmte erst, dann weckte sie den Mann mit dem ausgemergelten Gesicht. Er lag regungslos da, denn solange er sich nicht rührte, ließ sich sein gegenwärtiger Zustand durch die Erinnerung beinahe verdrängen. Wie Staubpartikel, die im goldenen Licht der Sonnenstrahlen kurz aufleuchten und sogleich wieder verschwunden sind, kamen und gingen seine Gedanken, zusammenhanglos und ohne daß er sie beeinflußte.
    Die Tür öffnete sich. Marilou Bellmain sagte: »Du bist ja wach!«
    »Wie Lazarus«, sagte er und versuchte zu lächeln.
    »Soviel ich weiß, wollte Lazarus gar nicht so recht.«
    »Er hatte bestimmt keine Frau wie dich.«
    »Und ich wette, er hatte auch nicht dein flottes Mundwerk. Möchtest du jetzt dein Frühstück?«
    »Ich glaube, dazu stehe ich auf.«
    »Ist das vernünftig? Solltest du dich nicht lieber ein paar Tage ausruhen, bis du wieder kräftiger bist?«
    »Ganz anders sagt mein Geist mir«, zitierte er. »Ich stehe lieber auf, solange ich noch kann. Und außerdem habe ich wie Miltons Samson das Gefühl, daß heute im Laufe des Tages einige Besucher zu mir kommen könnten.«
    »Wer zum Beispiel?« fragte sie mißtrauisch.
    »Zum Beispiel Freunde und Nachbarn, die hereinschauen, um zu sehen, wie’s mir geht.«
    Er schlug das Laken zurück, und sie kam näher, um ihm zu helfen.
    »Ich will aber nicht, daß die Leute dich ermüden.«
    »Pst, Liebes«, sagte er. »Beim ersten Anzeichen von Müdigkeit darfst du dich wie ein feuerspeiender Drache auf sie stürzen.«
    Er musterte sich im Spiegel des Toilettentischs und sagte betrübt: »In einem wenigstens gleiche ich Samson. Ich habe keine Haare mehr.«
    »Die wachsen wieder nach.«
    »Jetzt, nachdem die Therapie beendet ist? Ja, die Zeit könnte reichen, meine Amerikanisierung mit einem Bürstenschnitt zu vollenden. Entschuldige, ich wollte dir mit meinen morbiden Gedanken nicht weh tun.«
    »Und ich wollte nicht, daß du es mir ansiehst.«
    Er legte seine dünnen Arme um ihre füllige Taille. Früher war sie schlank und elegant gewesen; doch während er immer weniger geworden war, war sie auseinandergegangen, als ob sie sie beide am Leben erhalten könnte, indem sie für zwei aß.
    »Marilou, dich gefunden zu haben war das Beste, das mir jemals im Leben widerfahren ist. Es entschädigt mich mehr als reichlich für alles davor.«
    Sie sah ihn nachdenklich an: »Für alles? Das kann nicht dein Ernst sein.«
    »Da ich das Vergangene nicht ändern kann, kann ich nur alles zusammen- und aufrechnen. Und bis zu dem Tag, als wir uns zufällig in Mexico City über den Weg liefen, sah die Bilanz meines Leben ehrlich gesagt eher nach einem Bankrott aus. Danach sind die Zahlen über jede Diskussion erhaben.«
    Da beugte sie sich über ihn und gab ihm einen herzhaften Kuß.
    »Du willst nicht nur aufstehen, sondern dich auch anziehen?«
    »Aber gewiß doch. Nur die Huren und Bourbonen empfangen ihre Besucher im Negligé.«
    »Schon wieder diese Besucher«, sagte sie. »Du erwartest
doch
jemanden.«
    »Eigentlich nicht«, meinte er nachdenklich. »Aber schon seit geraumer Zeit habe ich so ein Gefühl, daß irgendwer, irgendwo – vielleicht sind es auch mehr als einer – auf dem Weg zu mir ist. Und man darf ja auch nicht mehr allzu lange warten, nicht? Noch einmal, Entschuldigung. Nur Marilou, mein Liebling, versprich mir eines. Wenn heute jemand kommt und nach mir fragt, laß ihn rein. Schick niemanden weg. Niemanden.«
    »Wenn du unbedingt willst. Aber nur heute. Danach übernehme ich das Kommando, klar?«
    »Abgemacht«, stimmte James Westropp ihr zu. »Nun geh und mach das Frühstück.«
    »Und ich soll dir wirklich nicht helfen?«
    »Ein englischer Herr mag einer Dame bei Gelegenheit gestatten, ihn auszuziehen, aber er behält sich vor, seine Kleider alleine wieder anzuziehen.«
    »Tatsächlich? Nun, hier sind wir in Amerika und machen die Dinge auf unsere Art.«
    »Falsch«, sagte er. »Hier sind wir in der Hauptstadt der Kolonie Virginia, in der sich nichts verändert hat, seit mein Ur-Ur-Ur-Urgroß-ich-weiß-nicht-was euer unbestrittener Herrscher war, also, wenn ich den Mund aufmache, springst du gefälligst.«
    »Ich springe ja schon«,

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