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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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und dann das Gesundheitsamt benachrichtigen. Sven verkaufte die frisch gepulten Dinger unter der Hand an die Hotels und Restaurants an der Westküste. Und irgendwie hatte er den Dreh rausgefunden, sie auch auf den Touristenschiffen loszuwerden. Für gepulte Krabben gab’s fast dreimal so viel wie für die größeren Garnelen. Wir bekamen nur ein paar Kronen pro Stunde und am Ende des Tages tat einem jeder Muskel weh von der Buckelei. Das einzig Tröstliche war, dass sich auch Sven nicht gerade eine goldene Nase verdiente.
    Der Himmel über Nuuk war von einem unglaublichen Blau und der Schnee auf dem Sermitsiaq glitzerte in der Frühlingssonne, aber das vergaß man genau in dem Moment, in dem man die Tür zu Svens Schuppen aufschob. Wegen der Kühlkisten für die Krabben war es eiskalt in dem Raum. Es gab keine Fenster und das Neonlicht flackerte ungesund vor sich hin. Mindestens die Hälfte der Röhren war kaputt und die Männer und Frauen, die sichmit krummen Rücken über das Band beugten, saßen im Trüben. Aber eigentlich brauchst du überhaupt kein Licht für den Job, denn wenn du hundertmal die gleiche Handbewegung gemacht hast, kannst du sie auch im Dunkeln.
    Das Einzige, was mich jedes Mal wie am ersten Tag umhaute, war der grässliche Gestank nach Fisch und Schweiß und Alkohol. Natürlich hatte Sven seinen Leuten verboten, bei der Arbeit zu trinken. Aber da er erst wieder am Nachmittag auftauchte, um seine Beute abzuholen, konnte man sich ungestört die Kante geben. Und das taten fast alle, auch die Mädchen. Nur Maalia nicht.
    Ich schaute in die Runde. Noch ehe ich erkennen konnte, wer heute alles da war, winkte mir Aqqaluk auch schon zu. Er rutschte mit seinem Hocker ein Stückchen zur Seite, sodass ich mich zwischen ihn und Angaju quetschen konnte. Anga arbeitete schon seit fast einem Jahr in Svens Schuppen und durch seine Vermittlung waren wir an den Job gekommen.
    »Hey, Pakku«, begrüßte mich Aqqaluk mit einem Grinsen, das sein rundes Gesicht noch breiter werden ließ. »Du hast gestern Abend was verpasst. Ingvar hat hammerharte DVDs dagehabt.« Verstohlen schaute er zu seinem großen Bruder hinüber, weil der wütend wurde, wenn Aqqaluk sich Pornos reinzog. Doch Anga hatte Kopfhörer in beiden Ohren und achtete nicht auf Aqqaluks Gequatsche. Die Augen halb geschlossen, sang er leise vor sich hin, immer die gleichen Silben, ajjejje ajjejje. Aqqaluk zwinkerte mir zu und machte eine Bewegung mit den Händen, wie ein Hase, der mit den Vorderpfoten in der Luft zappelt. Klar, Anga war im Trommelfieber,highspeed ins Land seiner Vorfahren. Der bekam nichts mit. Er spielte mit ein paar Freunden in einer Band, die grönländische Trommeltänze mit Rap zusammenmixte. Eine wahnsinnige Sache. Sie waren sogar schon im Katuaq Kulturzentrum aufgetreten und Anga hatte erzählt, dass sie vielleicht nach Kopenhagen eingeladen wurden, um dort in einem ziemlich guten Club auf der Bühne zu stehen.
    Ich zuckte mit den Schultern und griff in die Krabben. Ich hasste die Viecher mit ihren gekrümmten Beinen und ihren spindeldünnen Fühlern. Wenn sie nackt waren, sahen sie obszön und schamlos aus. Während ich mechanisch an ihren Köpfen drehte, die Schale zum Knacken brachte und ihnen das Genick brach, spürte ich, dass nicht nur Aqqaluk mich anschaute. Auch Maalias Blick war auf mich gerichtet. Sie saß mir schräg gegenüber, neben einem Mädchen, das Signe genannt wurde und so wie Maalia in demselben Wohnblock wohnte wie Aqqaluk und seine Familie.
    Maalia lächelte mich an und ich lächelte zurück. Aqqaluk boxte mir in die Seite.
    »Mann«, sagte er. »Da läuft was.«
    »Kann sein«, antwortete ich und ließ meinen Blick durch den Schuppen schweifen, bevor er wieder bei Maalia landete. Klar, sie war eindeutig die Hübscheste, mit ihren langen, weich fallenden Haaren und den schräg stehenden Augen, die selbst im Halbdunkel des Schuppens glänzten, und es gefiel mir, dass sie nichts trank. Was ihre Figur anging, tappte ich im Dunkeln. Wie alle anderen hatte sie eine dicke Jacke an, wodurch sie wie einunbezwingbarer Felsen wirkte. Manchmal wachte ich nachts davon auf, dass ich träumte, einem Mädchen mit nackten Beinen zu begegnen, in einem kurzen Rock und einem T-Shirt, unter dessen dünnem Stoff man ihre Brust sehen konnte.
    Aqqaluk reichte mir seine Bierflasche und ich nahm einen großen Schluck. Ich war ein Scheißheuchler, sonst nichts. Ich hasste es, dass mein Vater so am Alkohol hing, und ich mochte es nicht,

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