Insel der blauen Delphine
Blicken entschwanden. An diesem Tag kümmerten wir uns nur um unsere Nahrung. Das vom Wind gepeitschte Meer warf hohe Wellen an die Küste, sodass wir nicht bis zu den Felsen im Wasser vordringen konnten, um frische Abalonen zu holen. Wir blieben deshalb auf der Klippe. Ich sammelte Möweneier, während Ramo in den Tümpeln fischte. Er fing eine Menge kleiner Fische, die er aufspießte und stolz nach Hause trug. Es war ihm anzusehen, dass er damit seinen Ungehorsam als gesühnt betrachtete. Zusammen mit den Samenkörnern, die ich in einer Kluft fand, brachte ich ein reichliches Abendessen zustande. Zum Kochen besaß ich allerdings nichts als ein paar flache Steine; meine Töpfe lagen auf dem Meeresgrund. Die wilden Hunde kamen auch in der folgenden Nacht. Vom Duft der gebratenen Fische angelockt, scharten sie sich bellend und knurrend auf dem Hügel vor dem Dorf zusammen. Ich sah den Widerschein des Feuers in ihren Augen glimmen. Als der Morgen graute, gingen sie fort. Der Ozean lag am nächsten Tag ruhig da und wir konnten wieder Abalonen von den Felsen pflücken. Aus Seegras flochten wir einen großen Korb. Diesen füllten wir bis zum Rande, und als die Sonne auf unsere Köpfe niederbrannte, trugen wir ihn nach Hause. Unterwegs machten wir auf der Klippe halt. Die Luft war klar. Wir konnten das ganze Meer überblicken bis dorthin, wo das Schiff verschwunden war. “Kommt es heute zurück?”, fragte Ramo. “Kann sein”, antwortete ich. Ich glaubte es nicht und fuhr fort: “Es kann aber auch sein, dass das Schiff erst nach vielen Sonnen zurückkommt, denn das Land, wohin es gefahren ist, liegt weit von hier. ” Ramo schaute zu mir auf. Seine schwarzen Augen glänzten. “Es würde mir nichts ausmachen, wenn das Schiff nie wiederkäme”, sagte er. “Warum sagst du das ?”, fragte ich. Ramo dachte nach, während er mit der Spitze seines Speers ein Loch in die Erde bohrte. “Warum?”, fragte ich wieder. “Weil es mir hier gefällt, so allein mit dir”, antwortete er. “Es macht mehr Spaß als früher, als alle noch da waren. Morgen gehe ich zu den Kanus und nehme eins und bringe es in die Korallenbucht. Wir brauchen es zum Fischen und damit wir um die Insel fahren können. ” “Die Kanus sind zu schwer für dich allein. Allein kannst du sie nicht ins Wasser schieben. ” “Lass mich nur machen. ” Ramo warf sich in die Brust. Er trug eine Halskette aus SeeElefanten-Zähnen, die jemand auf der Insel zurückgelassen hatte. Die Kette war viel zu groß für ihn und die Zähne waren zerbrochen, aber sie klapperten, als er den Speer zwischen uns in den en rammte. “Du vergisst, dass ich der Sohn des Häuptlings Chowig bin”, sagte er: “Ich vergesse es nicht”, antwortete ich, “aber du bist ein kleiner Sohn. Später, ja, später wirst du stark genug sein, um mit einem großen Kanu allein fertigzuwerden. . ” “Ich bin der Sohn des Häuptlings Chowig”, wiederholte er und plötzlich riss er die Augen weit auf. “Ich bin sein Sohn, und weil er tot ist, muss ich an seine Stelle treten. Ich bin jetzt der Häuptling von Ghalasat. Alle meine Wünsche müssen erfüllt werden. ” “Zuerst musst du dafür sorgen, dass du ein Mann wirst. Ich werde dich also mit einem Büschel Nesseln auspeitschen und dann auf einen Ameisenhaufen binden, wie es das Gesetz unseres Stammes verlangt. ” Ramo wurde bleich. Er wusste, welchen Riten sich die jungen Männer unseres Stammes unterwerfen mussten und wie grausam sie waren. Schnell sagte ich: “Aber da es hier außer dir keine Männer mehr gibt, können wir vielleicht eine Ausnahme machen und die Nesseln und die roten Ameisen beiseitelassen, Häuptling Ramo. ” “Ich weiß noch nicht, ob mir dieser Name passt”, erwiderte er wieder lächelnd. Er warf seinen Speer nach einer Möwe. “Ich will mir einen besseren ausdenken. ” Ich schaute ihm nach, als er den Speer holen ging - ein kleiner Junge mit dünnen Armen und Beinen wie Stäbe und mit einer Kette aus SeeElefanten-Zähnen. Als Häuptling von Ghalasat würde er mir noch mehr Schwierigkeiten bereiten, als ich bisher mit ihm gehabt hatte. Und doch spürte ich plötzlich das Verlangen, ihm nachzulaufen und ihn an mich zu drücken. “Mir ist ein Name eingefallen”, sagte er, als er zurückkam. “Und der lautet?”, fragte ich mit ernster Miene. “Ich bin der Häuptling Tanyositlopai. ” “Das ist ein sehr langer und sehr schwieriger Name. ” “Du wirst dich daran gewöhnen”, antwortete Häuptling
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