Insel der blauen Delphine
gewundenen Pfad zur Küste hinunter, während sich die Frauen am Rande der Mesa zusammenscharten. Ich arbeitete mich durch das Dickicht und stolperte dann die steile Schlucht hinab, bis ich die Klippen erreichte. Dort ließ ich mich auf Hände und Knie fallen. Unter mir lag die Bucht. Es war Ebbe und die Sonne glänzte auf dem weißen Küstensand. Etwa die Hälfte der Männer unseres Stammes hatte sich am Rande des Wassers versammelt; die übrigen hielten sich zwischen den Felsbrocken am Fuße des Pfades verborgen, bereit, über die Eindringlinge herzufallen, wenn sich deren Absichten als unfreundlich erweisen sollten. Wie ich da in den Toyonbüschen kauerte, eben noch weit genug vom Klippenrand entfernt, um nicht hinunterzufallen, und doch so nahe, dass ich alles, was unter mir vorging, sehen und hören konnte, stieß ein Boot vom Schiff ab. Sechs Männer mit langen Rudern trieben es voran. Ihre Gesichter waren breit und glänzendes schwarzes Haar fiel ihnen in die Stirn. Als sie näher kamen, sah ich, dass sie Knochenspieße durch ihre Nasen gesteckt hatten. Zuhinterst im Boot stand ein großer Mann mit einem gelben Bart. Ich hatte noch nie einen Russen gesehen, aber mein Vater hatte mir von den Russen erzählt, und als ich sah, wie der Mann im Boot dastand, die Füße gespreizt, die Fäuste in die Hüften gestützt, den Blick auf den kleinen Hafen gerichtet, als hätte er bereits davon Besitz ergriffen, fragte ich mich, ob er wohl einer jener Männer aus dem Norden war, die unser Volk fürchtete. Ich zweifelte nicht mehr daran, als das Boot an Land kam und der Mann rufend heraussprang. Seine Stimme hallte von den felsigen Wänden der Bucht wider. Es waren seltsame Worte, wie ich sie nie zuvor gehört hatte. Dann sagte er langsam etwas in unserer Sprache. “Ich komme im Frieden und will mit euch verhandeln”, sagte er zu den Männern an der Küste. Keiner antwortete, doch dann trat zwischen den Felsblöcken mein Vater hervor. Er schritt den Abhang hinunter und warf seinen Speer in den Sand. “Ich bin der Häuptling von Ghalasat”, sagte er. “Ich bin der Häuptling Chowig. ” Dass er einem Fremden seinen richtigen Namen nannte, überraschte mich. Jeder Angehörige unseres Stammes hatte zwei Namen, den richtigen, der geheim war und selten benutzt wurde, und einen gewöhnlichen. Wenn der geheime Name ständig gebraucht wird, nutzt er sich ab und verliert seine Zauberkraft. Mich nannte man Won-a-pa-lei, “das Mädchen mit dem langen schwarzen Haar”, aber mein geheimer Name ist Karana. Der geheime Name meines Vaters war Chowig. Ich weiß nicht, warum er ihn einem Fremden verriet. Der Russe lächelte, hob die Hand und sagte, er sei Kapitän Orloff. Auch mein Vater hob die Hand, doch obgleich ich sein Gesicht nicht sehen konnte, war ich sicher, dass er nicht lächelte. “Ich bin mit vierzig Leuten gekommen”, sagte der Russe. “Wir sind gekommen, um Seeotter zu jagen. Wir möchten uns auf eurer Insel niederlassen, solange die Jagd dauert. ” Mein Vater antwortete nicht. Er war groß, wenn auch nicht ganz so groß wie Kapitän Orloff, und er reckte die bloßen Schultern, während er über die Worte des Russen nachdachte. Er ließ sich Zeit. Einmal schon waren die Aleuter gekommen, um Seeotter zu jagen. Das war lange her, doch mein Vater konnte sich noch immer daran erinnern. “Du denkst an jene anderen Jäger zurück”, sagte Kapitän Orloff, als mein Vater beharrlich schwieg. “Ich habe von der Geschichte gehört. Es geschah unter Kapitän Mitriff. Mitriff war ein Narr und jetzt ist er tot. Aber du und dein Stamm, ihr habt alle Otter allein gejagt und deshalb nahm die Jagd kein gutes Ende. ” “Wir jagten”, antwortete mein Vater, “aber der, den du einen Narren nennst, hat es so gewollt. Er hieß uns von einem Mond bis zum anderen jagen ohne Pause. ” “Wir werden euch nichts tun heißen”, sagte Kapitän Orloff. “Meine Leute werden jagen und wir werden uns die Beute teilen. Ein Drittel für euch, zahlbar in Waren, zwei Drittel für uns. ” “Die Anteile müssen gleich groß sein”, sagte mein Vater. Kapitän Orloff starrte aufs Meer hinaus. “Darüber können wir später reden, wenn meine Vorräte an Land geschafft sind”, erwiderte er. Der Morgen war klar und die Winde wehten sanft, aber in dieser Zeit des Jahres musste man stets auf Stürme gefasst sein. Ich wusste, weshalb der Russe auf unserer Insel landen wollte. “Es ist besser, wir werden uns jetzt schon einig”, erklärte mein
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