Insel der blauen Delphine
Speer. Ich trug Ramo ins Dorf. Es war ein langer Weg und die Hunde folgten mir bis zur Hütte, wo ich Ramo auf den Boden bettete; doch als ich mit einem Stock vor die Tür trat, verzogen sie sich auf einen benachbarten kleinen Hügel. Ihr Anführer war ein großer, grauer Hund mit dichtem Nackenhaar und gelben Augen und er ging als Letzter. Trotz der hereinbrechenden Dunkelheit folgte ich der Meute auf den Hügel. Lautlos wich sie vor mir zurück. Ich verfolgte sie hügelauf, hügelab und durch ein kleines Tal bis zur Anhöhe, hinter welcher sich eine steile Felswand erhob. Am Fuß der Wand befand sich eine Höhle. Die Hunde trabten auf die Öffnung zu und zwängten sich einer nach dem anderen hindurch. Als der letzte in der Höhle verschwunden war, trat ich näher. Die Öffnung war zu breit und zu hoch, als dass ich sie mit Steinen hätte füllen können. Ich las dürre Zweige zusammen, schichtete sie aufeinander und zündete sie an. Die brennenden Zweige stieß ich in den Höhleneingang. Mein Plan war, das Feuer bis zum Morgen brennen zu lassen und es immer tiefer in die Höhle zu stoßen, doch ich fand nicht genügend Holz. Als der Mond aufging, ließ ich von meinem Vorhaben ab und kehrte durch das Tal und über die Hügel ins Dorf zurück. Die ganze Nacht saß ich schlaflos in meiner Hütte neben der Leiche meines Bruders. Ich schwor mir, dass ich eines Tages hingehen und die wilden Hunde umbringen würde. Ich würde sie alle umbringen. Ich dachte daran, wie ich sie umbringen würde, aber noch mehr als an die Hunde dachte ich an Ramo, meinen toten Bruder.
Kapitel 9
Jene Zeit ist mir nur undeutlich in Erinnerung geblieben. Ich weiß aber, dass viele Sonnen auf-und untergingen und dass ich mir lange überlegte, was ich nun, da ich allein war, tun sollte. Die Hütte verließ ich nur, um frische Abalonen zu holen, nachdem ich meinen kleinen Vorrat verzehrt hatte. An einen bestimmten Tag jedoch erinnere ich mich genau. Es war der Tag, da ich beschloss, nicht mehr im Dorf zu wohnen. Seit dem frühen Morgen hing dicker Nebel über der Insel. Von der Küste drang das Tosen der Wellen herüber. Da wurde mir mit einem Mal bewusst, wie still es war in Ghalasat. Der Nebel kroch durch die offenen Hütten und in seinen Schwaden glaubte ich Gestalten zu erkennen, die Gestalten all derer, die tot oder die fortgegangen waren. Im Lärm der Brandung schienen ihre Stimmen zu rufen. Lange saß ich vor meiner Hütte, sah die Gestalten und hörte die Stimmen, bis die Sonne durch den Nebel drang und die ziehenden Schwaden verscheuchte. Da erhob ich mich und legte Feuer an meiner Hütte. Als sie bis auf den Grund niedergebrannt war, steckte ich die nächste in Brand und so zerstörte ich ein Haus nach dem anderen, bis nur noch Asche bekundete, dass hier das Dorf Ghalasat gestanden hatte. Außer einem Korb voll Lebensmitteln gab es nichts, das ich mitnehmen konnte. Ich kam deshalb rasch voran, und noch ehe die Nacht hereinbrach, erreichte ich den Ort, wo ich zu wohnen beschlossen hatte, bis das Schiff zurückkehrte. Mein neues Heim war eine flache Bergkuppe, eine halbe Seemeile von der Korallenbucht entfernt. Die Kuppe war kahl bis auf einen großen Felsblock in der Mitte und zwei verkrüppelte Bäume. Hinter dem Felsblock gab es einen ebenen, windgeschützten Platz, zehn Schritte breit und fast ebenso lang. Von dort aus konnte ich den Hafen und das Meer sehen. Ein kleiner Bach rieselte in der Nähe. Zum Schlafen kletterte ich auf den Felsen. Er war oben so breit, dass ich mich mühelos darauf ausstrecken konnte, und eben noch hoch genug, um mir Schutz zu bieten vor den wilden Hunden. Seit dem Tag, da sie Ramo getötet hatten, waren sie mir nicht mehr begegnet, aber ich zweifelte nicht daran, dass sie mein neues Lager bald aufspüren würden. Der Felsen bot auch ein sicheres Versteck für die mitgebrachten Vorräte. Da es noch immer Winter war und das Schiff nun jeden Tag zurückkommen konnte, hielt ich es für überflüssig, nach frischer Nahrung zu suchen. Ich hatte Wichtigeres zu tun. Als Erstes musste ich mir Waffen beschaffen, mit denen ich mich der Hunde erwehren konnte, wenn sie mich angriffen. Ich war überzeugt, dass sie mich eines Tages angreifen würden; aber ich hatte fest beschlossen, sie alle umzubringen, einen nach dem anderen. Außer dem Stock, den ich in einer leeren Hütte gefunden hatte, brauchte ich einen Bogen mit Pfeilen und einen großen Speer. Der Speer, mit welchem Ramo einen der Hunde getötet hatte, war zu
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