Insel der Freibeuter
aber auch frustriert, daß die nervenaufreibende Warterei weiterging.
Da Sebastian wußte, daß Untätigkeit zum schlimm-
sten Feind seiner Besatzung werden konnte, befahl er ein Floß mit quadratischem Segel zu bauen, das er in der Mitte der Buchteinfahrt postieren ließ.
Dann gab er den Kanonieren den Befehl, auf die
Mitte dieses Segels zu zielen, und ließ sie feuern, bis sie es genau trafen. Auf diesen exakten Punkt ließ er die Kanonen fixieren.
Schließlich richteten sie sich auf eine weitere Nacht der Angst ein.
Und auf einen weiteren Morgen ohne Feinde.
Und so vergingen fünf Nächte.
Doch am Morgen des sechsten Tags durchbrach ei-
ne Stimme die Stille der ruhigen Bucht:
»Schiff in Sicht!«
Bei Gott! Da war sie!
Sie stiegen auf die Düne und sahen zu, wie das
stolze, mächtige Schiff gemächlich zwischen Inseln, Untiefen und Riffen dahinglitt. Es war schon schwer zu glauben, daß ein trauriger Küstensegler mit kaum dreißig Kanonen es wagte, sich mit einer der ein-drucksvollsten Kriegsmaschinen anzulegen, die in
jenen Zeiten durch die Karibik segelten.
»Ist er das?«
Sebastian reichte Lucas Castano, der gefragt hatte, das schwere Fernrohr.
»Wer sonst?«
Der Zweite an Bord schaute lange hindurch, bis er schließlich die riesige Flagge mit dem unverzierten Totenkopf einwandfrei ausmachen konnte, und nickte überzeugt:
»Das Wappen von Mombars, kein Zweifel.«
»Jeder auf seinen Posten.«
Jeder Mann nahm schweigend und ohne Hast sei-
nen ihm vorher zugewiesenen Posten ein. Nur der
junge Kapitän und sein Adjutant blieben zwischen
den Dünen und ließen das Schiff nicht aus den Au-
gen, das jetzt direkt auf die Insel zusteuerte.
Im Sand ausgestreckt und ein Auge am riesigen
Fernglas, konzentrierte sich Sebastián auf den riesigen Mann mit der weißen Mähne, der seinerseits die Insel von seinem Befehlsposten aus musterte, und
murmelte:
»Schön. Jetzt gibt es kein Entkommen mehr. Er
oder wir!«
Keiner hätte genau sagen können, wieviel Zeit verging, bis der Bug der Ira de Dios eine gute halbe Meile vor der Buchteinfahrt verharrte.
Einigen erschien es wie eine Ewigkeit.
Anderen nur wie wenige Minuten.
Das eindrucksvolle Schlachtschiff hatte alle Segel mit Ausnahme der Focksegel gerefft und glitt daher sehr langsam voran, während es die Kanonenschäch-te öffnete. Drei Kanonenreihen zeigten ihre Mün-
dungsrohre, die bereit waren, bei dem geringsten
Anlaß Eisen und Feuer regnen zu lassen.
Der Todesengel stand neben dem Steuermann und
betrachtete ein letztes Mal den eleganten Küstensegler, der am Ende der Bucht vor Anker lag, und ob-
wohl ihm die Jacare ihre Steuerbordseite zuwandte, an der die Klappen ihrer Kanonen klar auszumachen waren, schien Mombars zum Schluß zu kommen,
daß er wenig zu fürchten hatte, wenn er frontal auf das bewegungslose Schiff zusteuerte.
Mit seinem Fernglas suchte er die flachen Sand-
bänke auf beiden Seiten des Kanals ab. Erst als er keine Kanone zwischen den kleinen Dünen und den
einzelnen Palmen entdecken konnte, befahl er vorzu-rücken.
Schließlich schaute er auf den Mann, der sich auf die höchste Erhebung der Insel gestellt hatte und wiederholt ein rotes Tuch schwenkte.
Das war das Zeichen, das bestätigte, daß der spanische Navigator und Renegat Seekarten und Routen-
bücher in Sicherheit gebracht hatte.
Er blickte zu den Wachen im Mastkorb hinauf, die
ihm mit einer Geste bestätigten, daß auch von dort oben keinerlei Gefahr zu erkennen war.
Mit einer Handbewegung befahl er, die Focksegel
weiter zu verkleinern, und das Schiff setzte seine langsame Fahrt fort.
Kurze Zeit darauf gab die Jacare einen zaghaften
Warnschuß ab, der an die hundert Meter vor dem
Bug der Ira de Dios ins Wasser klatschte, doch diese hielt eine Erwiderung nicht für nötig. Zum einen war die Drohung sehr verhalten, zum anderen hätte man im Augenblick nur mit der kleinen Bugkanone auf
den Angreifer feuern können.
Mit stummer Geste ließ Mombars die schwarze
Flagge einholen: ein unmißverständlicher Hinweis
auf seine friedliche Absicht. Er wollte kein ungleiches und absurdes Kanonenduell beginnen, sondern
längsseits der Jacare gehen und ihr seine Feuerkraft demonstrieren. So gedachte er die Herausgabe ihrer Seekarten und Routenbücher zu erzwingen. Im Ge-genzug würde er das Schiff verschonen.
Mombars sah keinen Grund, das Schiff eines Kol-
legen zu versenken, denn sein wahres Interesse war es nach wie vor, den Spaniern die Gurgel
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