Insel der Freibeuter
zur kleinen Villa in Caballos Blancos ein, die er eine gute Stunde spä-
ter erreichte.
Sein Vater und seine Schwester wollten ihren Au-
gen kaum trauen, als sie die Schätze sahen, die Sebastian vor ihnen ausbreitete.
»Gütiger Gott! Was willst du denn damit alles an-
stellen?« wollte schließlich eine geradezu betäubte Celeste wissen.
»Zunächst einmal die Negrita komplett wieder auf-
bauen und dann die Rumbrennerei von Caballos
Blancos kaufen. Dann sehen wir weiter.«
»Und was passiert mit dem Schiff?«
Sebastian zuckte mit den Schultern.
»Das habe ich noch nicht entschieden, denn die
meisten meiner Leute wollen sich zur Ruhe setzen.«
»Mir kommt das seltsam vor, daß eine ganze Ver-
brecherbande plötzlich ehrbar werden will«, mur-
melte ein ungläubiger Miguel Heredia. »Ich verwette meinen Schnurrbart darauf, daß sie binnen eines
Jahres ihren Anteil verschleudert haben.«
»Die wollen nicht ehrbare Leute werden«, stellte
sein Sohn mit gewissem Humor klar. »Die haben
einfach nur eingesehen, daß sie so eine Beute nie wieder kriegen werden, und sie sind es leid, auf der Suche nach einer armseligen Prise weiter über die Meere zu irren. Du weißt es besser als jeder andere, was für ein schweres Leben das ist.«
»Ihnen gefällt es.«
»Rum, Glücksspiel und Frauen sind ihnen noch lie-
ber. Die Seeräuberei ist kein Priesteramt. Damit verdient man Geld.«
»Und wie lange wird es dauern, bis sie ihren Anteil verschleudert haben?«
»Das ist nicht mein Problem. Und wer kein Geld
mehr hat, kann jederzeit auf einem anderen Schiff anheuern. Aber für die Jacare, so wie sie jetzt ist, war das die letzte Fahrt, und ihre Flagge bleibt für immer eingeholt.«
Anschließend mußte er in allen Details berichten, was seit dem Augenblick ihrer Trennung geschehen
war, und als sein Vater und seine Schwester schließ-
lich schlafen gingen, machte der Margariteno einen langen Spaziergang am Strand, um sich auszumalen, wie nach so vielen aufregenden Jahren auf See sein Leben an Land aussehen konnte.
Immer wieder kam es ihm seltsam vor, keine
schwankenden Schiffsplanken mehr unter den Füßen
zu haben und nicht jeden Augenblick vor einem
Mast oder einer Schiffswand zu stehen.
Wenn er mitten in der Nacht aufwachte, ohne das
Knarren der Jacare zu hören, befiel ihn eine seltsame Unruhe, und wenn ihm der Duft der feuchten Erde
und der dichten Vegetation des fruchtbaren Jamaika in die Nase stieg, vermißte er sein Schiff, das nach Teer und feuchtem Holz roch.
Er würde noch lange brauchen, bis er kein echter
Seemann mehr war, doch das Meer bot ihm keine
Zukunft mehr. Schließlich sah er sich nicht als Kapitän eines Handelsschiffs, und ebenso absurd war die Vorstellung, daß ihm Engländer, Franzosen oder
Spanier je ein Kommando über ein Kriegsschiff an-
vertrauen würden.
Ob er wollte oder nicht, seine Zukunft lag an Land.
Er setzte sich unter eine hohe Kokospalme und
schaute zu, wie sich der Mond in den breiten, von Korallenriffen gebildeten Lagunen spiegelte, als ihn plötzlich eine seltsame Unruhe befiel, eine düstere Vorahnung, daß etwas Schreckliches passieren wür-de, ohne daß er hätte sagen können, woher die undefinierbare Gefahr kam, die all seine Bewegungen mit tausend Augen hinter seinem Rücken aus dem Dik-kicht der Zuckerrohrfelder zu verfolgen schien.
Er bemühte sich, seine Sorgen zu verscheuchen und sich selbst davon zu überzeugen, daß seine Familie und seine überaus wertvolle Beute in Sicherheit waren. Er hatte also nichts zu fürchten, wenn er sich dazu entschloß, auf der Insel zu bleiben. Diese wür-de stets eine Zuflucht für alle Menschen sein, die ihr von Plünderung und Gewalt bestimmtes Leben für
immer ändern wollten.
Man mußte nicht besonders aufgeweckt sein, um zu
begreifen, daß sich die Zeiten änderten und sich die glorreichen Zeiten der Seeräuberei allmählich ihrem Ende zuneigten. Die meisten ehrbaren Menschen der Region waren der Ansicht, daß mit Anbruch des
schon so nahen neuen Jahrhunderts die Antillen
nicht mehr die Jagdgründe der Seewölfe, sondern
Teil einer zivilisierteren Welt sein würden, in der die Probleme nicht ausschließlich mit Plünderungen und Kanonenschüssen gelöst wurden.
Die Spanier schienen inzwischen akzeptiert zu ha-
ben, daß andere Mächte sich auf einigen Inseln der Karibik festgesetzt hatten, und früher oder später würden die Regierungen dieser Nationen zur Überzeugung gelangen, daß friedliche
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