Insel der Freibeuter
Handelsbeziehun-
gen wesentlich einträglicher waren als ein Schiff nach dem anderen zu schicken, um andere Schiffe zu zerstören.
Mit dem Korsarenleben würde es an dem Tag vor-
bei sein, an dem ihnen ihre jeweiligen Souveräne
den Schutz entzogen, und sobald keiner mehr die
Korsaren brauchte, waren auch die Seeräuber und
Freibeuter der Küste zu raschem Niedergang verur-
teilt. Der Fortschritt in der Neuen Welt würde sie von der Landkarte fegen.
In dieser unruhigen Nacht voller finsterer Gedan-
ken kam Sebastián Heredia zu dem bitteren Schluß, daß ihm nichts anderes übrigblieb, als sein Leben zu ändern, auch wenn das Leben an Land für ihn ein
kleiner Tod war.
Er schlief schlecht, und als er aufwachte, waren
seine düsteren Gedanken noch immer nicht ver-
schwunden. Als er jedoch die große Seeterrasse
betrat, auf der seine Schwester lächelnd mit dem
Frühstück auf ihn wartete, kam ihm im Licht des
neuen Tages die Zukunft wieder wunderbar und
vielversprechend vor.
»Mir ist etwas eingefallen!« rief Celeste aus, während sie ihm Eier mit Schinken und eine Tasse Kaffee servierte. »Jetzt weiß ich, was wir mit der Jacare machen können!«
»Na, da fällt mir ja ein großer Stein vom Herzen«, gab Sebastián im gleichen Tonfall zurück. »Und was können wir deiner Meinung nach machen?«
»Mit ihr Sklaven befreien«, erwiderte das Mäd-
chen, als wäre das die normalste und einleuchtendste Sache der Welt. »Die Geschichte der Four Roses
und wie du die Schwarzen an der Küste Venezuelas
ausgesetzt hast, hat mich immer fasziniert.« Sie
beugte sich vor und packte ihn ungewohnt fest am
Arm. »Warum wiederholen wir das nicht?«
»Wiederholen?« wollte ihr Bruder verwundert wis-
sen. »Es war reiner Zufall, daß ich auf die Four Roses gestoßen bin.«
»Ich weiß. Aber ich weiß auch, daß jedes Jahr Dutzende dieser Sklavenschiffe von den Küsten Sene-
gals nach Brasilien und Westindien fahren. Und
wenn ein so schnelles Schiff wie die Jacare diese Gewässer patrouilliert, dann können wir sie uns der Reihe nach vorknöpfen.«
»Und was fällt dabei für uns ab?«
»Nichts.«
»Nicht gerade viel.«
»Oh doch!« entgegnete das Mädchen überzeugt.
»Das mußt du mir erklären.«
»Doch nicht dir. Wenn du das schon getan hast, als du nichts hattest, um deine Mannschaft zu bezahlen, die dich jeden Augenblick über Bord hätte werfen
können, dann hast du jetzt, wo du ein steinreicher Mann bist, doch noch weit mehr Grund dazu.«
»Und ist dir nie durch dein hübsches Köpfchen ge-
gangen, daß ein steinreicher Mann seinen Wohlstand in Ruhe genießen will?«
»Jeder andere Mann, ja. Du nicht.«
»Also hör mal! Und warum?«
»Weil ich dich kenne und ich sicher bin, daß dir in ein paar Monaten die Zuckerplantagen und Rum-brennereien bis hierher stehen. Du gehörst aufs
Meer…« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause
und sah ihm direkt in die Augen. »Und ich eben-
falls.«
»Was willst du damit sagen?« regte sich der frisch pensionierte Kapitän Jack auf. »Soll das heißen, daß du dein Leben auf einem Schiff verbringen willst?«
»Und warum nicht? Mir ist klargeworden, daß mir
das wirklich gefällt, und wenn ich schon akzeptiert habe, daß es nicht vernünftig war, an Bord eines
Piratenschiffs zu bleiben, dann mußt du deinerseits akzeptieren, daß ich sehr wohl an Bord eines anderen Schiffs leben kann, dessen Besatzung normale
Leute sind, die nur für eine edle Sache kämpfen.«
»Und wo finden wir diese normalen Leute?«
»Natürlich nicht in Port-Royal. Aber in jedem an-
deren Hafen, wenn wir sie gut bezahlen…«
»Eine Schnapsidee!«
»Mir gefällt sie…«
In diesem Augenblick erschien Miguel Heredia in
der Tür und fragte spöttisch:
»Und was ist das für eine neue Schnapsidee?«
»Deine Tochter möchte, daß ich mit der Jacare
Sklavenschiffe überfalle und die Schwarzen be-
freie.«
Sein Vater nahm Platz, goß sich eine Tasse Kaffee ein, dachte einige Augenblicke nach und nickte
schließlich überzeugt.
»Die erste vernünftige Sache, die ich seit langem gehört habe.«
»Ist das dein Ernst?«
»Mein völliger Ernst. Du hast sehr viel Geld, ein prächtiges Schiff und wenigstens ein halbes Dutzend Männer, Lucas Castano eingeschlossen, die sich nur zu gern in dieses Abenteuer stürzen werden. Wir
suchen uns eine neue Besatzung und werden den
Rest unseres Lebens damit verbringen, etwas Edel-
mütiges für die Ärmsten der Armen zu tun. Das
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